Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
Körper gebieterischer als der Schlag seines eigenen heißen Pulses. »Wir sind nicht zwei Männer«, flüsterte Ta-Kumsaw. »Wir sind hier kein Roter und kein weißer Mann, zwischen denen vergossenes Blut fließt. Wir sind ein einziger Mann mit zwei Seelen, einer roten Seele und einer weißen Seele, ein einziger Mann.«
    »Also gut«, sagte Geschichtentauscher. »Es soll so geschehen, wie Ihr sagt.«
    Ta-Kumsaw hielt Geschichtentauscher immer noch fest, während er sich in der Umarmung drehte; ihre Köpfe preßten sich aneinander, ihre Ohren verschmolzen so eng, daß Geschichtentauscher nichts mehr hören konnte außer Ta-Kumsaws Puls, wie das Hämmern von Meereswellen in seinem Ohr. Doch nun, da ihre Körper so eng miteinander verbunden waren, daß sie beide nur noch einen einzigen gemeinsamen Herzschlag zu kennen schienen, konnte Geschichtentauscher plötzlich deutlich einen Weg erkennen, der den Hang des Hügels hinaufführte.
    »Könnt Ihr ...«, fing Ta-Kumsaw an.
    »Ich sehe ihn«, erwiderte Geschichtentauscher.
    »Bleibt weiterhin so dicht bei mir«, gebot Ta-Kumsaw. »Nun sind wir wie Alvin – eine rote Seele und eine weiße Seele in einem einzigen Körper.«
    Es war beschwerlich, ja regelrecht albern, zu versuchen, den Hügel auf diese Weise zu besteigen. Doch sobald sie sich beim Aufstieg nur ein wenig voneinander lösten, schien der Pfad sofort wieder beschwerlicher zu werden, versteckte er sich hinter irgendeinem Schlinggewächs, einem Strauch, einem herabhängenden Ast. Also klammerte sich Geschichtentauscher so eng an Ta-Kumsaw, wie der rote Mann sich an ihn klammerte, und zusammen bahnten sie sich einen Weg den Hügel hinauf.
    Oben angekommen, stellte Geschichtentauscher zu seiner Überraschung fest, daß sie sich nicht auf dem Gipfel eines einzigen Hügels befanden, sondern vielmehr auf einem Ring aus acht verschiedenen Hügeln, zwischen denen ein achteckiges Tal lag. Ta-Kumsaw war davon ebenso überrascht. Er wirkte verunsichert und hielt Geschichtentauscher nicht mehr ganz so fest.
    »Wo würde ein weißer Mann hier hingehen?« fragte Ta-Kumsaw.
    »Nach unten, natürlich«, erwiderte Geschichtentauscher. »Wenn ein weißer Mann ein Tal erblickt, geht er hinunter, um nachzusehen, was es dort gibt.«
    »Ist das für euch immer so?« fragte Ta-Kumsaw. »Nicht zu wissen, wo ihr seid, wo irgend etwas ist?«
    Erst dann erkannte Geschichtentauscher, daß Ta-Kumsaw hier nicht über seinen Landsinn verfügte. An diesem Ort war er ebenso blind wie ein weißer Mann.
    »Gehen wir hinunter«, sagte Geschichtentauscher. »Und noch etwas – wir brauchen uns jetzt nicht mehr so fest aneinanderzuklammern. Es ist ein grasbewachsener Hügel, und wir brauchen keinen Weg.«
    Sie überquerten einen Bach und fanden den Jungen auf einem Grasstück, dicht hing der Nebel über dem Boden. Alvin war nicht verletzt, doch er lag zitternd da wie im Fieber, obwohl seine Stirn kühl war und sein Atem flach und schnell ging. Wie Ta-Kumsaw gesagt hatte: Er lag im Sterben.
    Geschichtentauscher berührte ihn, streichelte ihn, dann schüttelte er ihn; er versuchte, den Jungen zu wecken. Alvin gab kein Anzeichen von sich, daß er sie bemerkte. Ta-Kumsaw war keine Hilfe. Er saß neben dem Jungen und hielt seine Hand, und wimmerte leise.
    Doch Geschichtentauscher war kein Mensch, der der Verzweiflung nachgab, falls es das sein sollte, was Ta-Kumsaw tat. Er blickte sich um. In der Nähe stand ein Baum, sein Laub war so gelbgrün, daß es im Licht der Dämmerung wirkte, als sei es aus Blattgold. Am Baum hing eine helle Frucht, nein, es war eine weiße Frucht. Und plötzlich, kaum hatte er sie erblickt, konnte Geschichtentauscher sie riechen, nahm er ihren stechend-süßen Geruch wahr, so daß er sie auch beinahe schmecken konnte. Ohne nachzudenken schritt er auf den Baum zu, pflückte die Frucht, brachte sie zu Alvin zurück, der auf dem Boden lag, wie ein ganz kleines Kind. Geschichtentauscher fuhr mit der Frucht unter Alvins Nase hin und her, damit ihr Dürft wie Riechsalz wirken und ihn wiederbeleben konnte. Plötzlich begann Alvin zu keuchen. Er öffnete die Augen, seine Lippen lösten sich voneinander, und zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen ertönte ein Wimmern, das fast genauso klang wie Ta-Kumsaws; fast wie das Wimmern eines getretenen Hundes.
    »Nimm einen Bissen«, sagte Geschichtentauscher.
    Ta-Kumsaw beugte sich vor, packte Alvins Unterkiefer mit der einen Hand und den Oberkiefer mit der anderen, seine Finger

Weitere Kostenlose Bücher