Der rote Prophet
geschaut hatte – all dies verwandelte sich in eine müde Abneigung gegen den Winter, in ein ungeduldiges Warten darauf, daß die Jahreszeit wechselte, daß der Schnee schmolz und der Frühling kam und danach der Sommer.
Der Sommer: jene Zeit, da er zurückblicken und all dies hier als Vergangenheit würde betrachten können. Im Sommer würde er ziemlich genau wissen, wie alles sich entwickelte, zum Guten oder Bösen, ohne diese gräßliche, schneeweiße Frucht, die alle anderen Gefühle verbarg, so wie der Schnee die Erde verbarg.
Bis Alvin eines Tages merkte, daß die Luft tatsächlich etwas wärmer zu werden schien, und daß der Schnee auf dem Gras schon fast verschwunden war. Genau an diesem Tag wandte sich Ta-Kumsaw gen Osten, er stand auf einer Hügelkette, oben auf einem Fels, um im nördlichen Teil des weißen Staats von Appalachee auf ein Tal hinunterzublicken, das mit Farmen des weißen Mannes übersät war.
Es war ein Anblick, wie ihn Alvin noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte; nicht wie in der französischen Stadt Detroit, wo die Menschen alle dicht aufeinandergedrängt lebten, aber auch nicht wie im Wobbish-Land mit seinen spärlichen Siedlungen, wo jede Farm wie eine Schneise im Laubwald wirkte. Hier waren die Bäume alle ordentlich aufgereiht, um die Felder der Farmen voneinander abzugrenzen. Nur auf den Hügeln, die das Tal umgrenzten, war der Baumbewuchs wieder etwas wilder. Und da der Boden in den letzten Tagen weicher geworden war, brachen dort Farmer, mit ihren Pflügen die Erde auf, bearbeitete ebenso sanft und seicht das Antlitz der Erde, wie es die Steinklingen der roten Krieger auf ihren Schenkeln taten, die Klinge lehrend, zu dürsten, die Erde lehrend, zu ertragen, damit, so wie das Blut unter den Messern der Roten aufstieg, Weizen oder Mais oder Roggen oder Hafer aus den Wunden der Erde wachsen mochten. Dieses ganze Tal wirkte gebrochen wie ein altes Pferd.
Ich dürfte nicht so empfinden, dachte Alvin. Ich sollte froh sein, wieder Land der Weißen zu sehen. Im ganzen Tal stiegen Rauchfahnen aus hundert Kaminen empor. Hier gab es Menschen, Kinder, die wieder im Freien spielen konnten, nachdem sie den ganzen Winter lang eingesperrt gewesen waren, Männer, die in der kalten Luft des Frühjahrs schwitzten, während sie ihrer Arbeit nachgingen, schwer schaffende Pferde, aus deren Nüstern Dampf aufstieg. Es war doch wie zu Hause, oder nicht? Es war die Zivilisation: ein Haushalt, der an den anderen angrenzte, Ellenbogenkämpfe, die Parzellierung des Landes, bis niemand mehr auch nur einen Zweifel hatte, wem jeder Zoll davon gehörte, wer das Nutzrecht hatte und wer ein Eindringling war und besser weiterzog.
Doch nach diesem Jahr, das er fort war und unter den Roten verbracht hatte, ohne jemals einen weißen Mann zu Gesicht zu bekommen, sah Alvin dieses Tal nicht mehr mit den Augen eines Weißen. Er sah es wie ein Roter, und so erschien es Alvin wie das Ende der Welt.
»Was tun wir hier?« fragte Alvin Ta-Kumsaw.
Anstatt zu antworten, stieg Ta-Kumsaw einfach den Berg hinab ins Tal des weißen Mannes, ganz so, als hätte er ein Recht dazu. Alvin konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, folgte ihm aber.
Als sie durch ein halbgepflügtes Feld stapften, schrie der Farmer ihnen zu Alvins Überraschung nicht etwa zu, daß sie auf die Furchen achtgeben sollten, er hob nur den Blick, blinzelte sie an und winkte. »Howdy, Ike!« rief er.
Ike?
Und Ta-Kumsaw hob die Hand zum Gruß und schritt weiter.
Alvin hätte am liebsten laut losgelacht. Ta-Kumsaw war hier so bekannt, daß ein Weißer auch auf diese Entfernung wußte, wer er war. Ta-Kumsaw, der heftigste Weißenhasser im ganzen Waldgebiet, wurde mit dem Namen eines Weißen gerufen!
Doch Alvin war zu klug, um eine Erklärung dafür zu fordern. Er folgte Ta-Kumsaw einfach, bis sie schließlich am Ziel angelangt waren.
Es sah aus wie jedes andere Haus, vielleicht um eine Spur älter. Jedenfalls war es groß und schien ziemlich planlos immer wieder erweitert worden zu sein. Vielleicht war es ursprünglich einmal eine Blockhütte gewesen, mit einem steinernen Fundament, jetzt aber war es zu einem verschachtelten, zweigeschossen Haus geworden, in dem sich die ganze Geschichte dieses Tals widerspiegelte: ein Wahrzeichen des siegreichen Kriegs des weißen Mannes gegen das Land, wie es einmal war.
Ta-Kumsaw schritt auf eine kleine, schäbige Tür an der Hinterseite des Hauses zu, er klopfte nicht einmal an, sondern öffnete die
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