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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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brutaler zu sein, der sie die geheimen Methoden der Folter lehrt, wie sie von der papistischen Inquisation in Spanien und Italien angewandt wurden.«
    »Das stimmt doch gar nicht«, erwiderte Alvin.
    Sie lächelte. Die Flammen in ihren Augen tänzelten.
    »Die müssen mich hassen«, meinte Alvin. »Ich weiß nicht einmal, was eine Inquitition ist.«
    »Inquisition«, erklärte Isaac.
    Alvins Herz wurde ihm schwer. Wenn die Leute solche Geschichten über ihn erzählten, dann sahen sie in ihm doch einen Verbrecher, ein Ungeheuer. »Ich gehe nur mit ...«
    »Ich weiß, was du tust, und ich weiß auch, warum«, antwortete Becca. »Wir hier in dieser Gegend kennen Isaac gut genug, um solchen Lügen über ihn und dich keinen Glauben zu schenken.«
    Doch Alvin war ›diese Gegend‹ gleichgültig. Was ihm dagegen nicht gleichgültig war, war seine Heimat im Wob-bish-Land.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Becca. »Niemand weiß, wer dieser legendäre weiße Junge ist. Bestimmt nicht einer der beiden Unschuldigen, die Ta-Kumsaw im Wald in Stücke gehauen hat. Gewiß nicht Alvin oder Measure. Welcher von beiden bist du eigentlich?«
    »Alvin«, sagte Isaac.
    »Ach, ja«, sagte Becca. »Das hast du mir bereits erzählt. Es fällt mir immer so schwer, mir Namen zu merken.«
    »Ta-Kumsaw hat niemanden in Stücke gehauen.«
    »Du wirst dir wahrscheinlich denken können, Alvin, daß wir diese Geschichte auch nicht geglaubt haben.«
    »Oh.« Alvin wußte nicht, was er sagen sollte, und da er schon so lange Zeit wie ein Roter gelebt hatte, tat er, was Rote zu tun pflegten, wenn sie nichts zu sagen hatten, etwas, worauf ein weißer Mann kaum jemals kam: Er sagte überhaupt nichts.
    »Wollt ihr Brot und Käse?« fragte Becca.
    »Zu gütig. Danke«, erwiderte Isaac.
    Wenn das nicht die Höhe war! Ta-Kumsaw sagte danke wie ein richtiger Gentleman. Nicht, daß er unter seinesgleichen nicht edel und redegewandt gewesen wäre. Doch wenn er die Sprache des weißen Mannes benutzte, so geschah es sonst immer nur auf solch kalte, unblumige Art. Bis jetzt. Hexerei.
    Becca läutete eine kleine Glocke.
    »Es ist einfache Kost, aber in diesem Haus leben wir auch einfach. Und besonders ich hier, in diesem Raum. ... Es ist ein solch schlichter Ort.«
    Alvin sah sich um. Sie hatte recht. Erst jetzt merkte er, daß es sich bei diesem Zimmer um das ursprüngliche Blockhaus handelte, dessen verbliebenes Fenster ein südliches Licht in den Raum warf. Die Wände waren immer noch aus grobem alten Holz; er hatte es nur noch nicht bemerkt, weil überall Stoff hing. Ein merkwürdiger Stoff, er besaß viele Farben, doch bildeten die Farben keinerlei Muster, alles war nur mal hierhin, mal dorthin gewoben worden, in sich ändernden Schattierungen und Farben, und alles war miteinander verflochten.
    Als Antwort auf Beccas Läuten trat jemand in den Raum, dem Klang seiner Stimme nach ein älterer Mann; sie schickte ihn aus, um etwas zu essen zu holen, doch Alvin bemerkte nicht einmal, wie er aussah, denn er konnte die Augen nicht von dem Stoff abwenden. Wozu diente soviel Stoff?
    Und wo endete er?
    Er schritt zu einer Stelle hinüber, an der etwa ein Dutzend Stoffrollen in einer Ecke standen, und er merkte, daß jede der Rollen aus der davorstehenden hervorwuchs. Irgend jemand hatte das Ende des Stoffs von einer Rolle genommen und zusammengerollt, um damit die nächste anzufangen, es waren also gar nicht verschiedene Stoffe, alles war nur ein einziges Tuch, so lange aufgerollt, bis es fast zu schwer war, um es noch bewegen zu können, und dann hatte man sofort mit der nächsten Rolle begonnen, ohne daß auch nur eine Schere den Stoff berührt hätte. Alvin begann im Zimmer umherzuschlendern, mit den Fingern zog er das Stoffmuster nach, folgte seinem Pfad hinauf über die Haken an den Wänden, hinunter zu den Falten am Boden, wo der Stoff zusammengelegt worden war. Er folgte ihm, er folgte ihm immer weiter, bis schließlich der alte Mann mit dem Brot und dem Käse wiederkehrte und er das Ende des Stoffes gefunden hatte. Der Stoff mündete in Beccas Webstuhl.
    Die ganze Zeit hatte Ta-Kumsaw mit Becca in seiner Isaac-Stimme gesprochen, und sie hatte auf ihre tiefmelodische Weise geantwortet, die irgendwie ein wenig fremdländisch klang, wie bei einigen der Holländer in der Gegend um Vigor Church. Erst jetzt, da Alvin neben dem Webstuhl stand und das Essen auf einem niedrigen Tisch stand, der von drei Stühlen umgeben war, erst jetzt achtete er auf das, was sie

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