Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
Arroganz der Jugend; doch in seinem Herzen lauert kein Verrat, dessen bin ich völlig gewiß. Dennoch werde ich mich wie stets von Euch leiten lassen, denn immer werdet Ihr das wahre Gleichgewicht zwischen Gerechtigkeit und Gnade zu finden wissen. Euer ergebenster Diener, Gilbert.
    Natürlich würde König Charles wütend sein. Selbst wenn Napoleon recht behalten und Charlie dazu neigen sollte, dem ganzen mit Nachsicht zu begegnen, würden die Höflinge eine solche Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Man würde mit derartiger Vehemenz Napoleons Kopf fordern, daß nicht einmal König Charles es sich würde leisten können, den Jungen nicht zu kassieren.
    Ein weiterer Brief, der schmerzlichste von allen, war in Gilberts eigener Handschrift, er war an Frederic, Comte de Maurepas, gerichtet. Gilbert hatte ihn vor langer Zeit geschrieben, kaum war Napoleon in Kanada eingetroffen. Schon bald würde es Zeit sein, ihn abzusenden.
    Am Vorabend solch bedeutsamer Ereignisse, mein lieber Freddie, denke ich, daß Ihr dieses Amulett tragen solltet. Es wurde mir von einem heiligen Mann gegeben, um damit die Lügen und Betrügereien Satans abzuwehren. Tragt es zu jeder Zeit, mein Freund, denn ich glaube, daß Ihr seiner weitaus mehr bedürft als ich.
    Frederic brauchte nicht zu wissen, daß der ›heilige Mann‹ Robespierre gewesen war, dann hätte er es mit Sicherheit niemals getragen. La Fayette zog das Amulett aus einer Hemdbrust, wo es an einer goldenen Kette baumelte. Was würde de Maurepas tun, wenn Napoleon keine Macht mehr über ihn hatte? Nun, er würde wieder so handeln, wie er es für richtig hielt.
    Eine halbe Stunde lang saß La Fayette so da, er wußte, daß die Zeit der Entscheidung gekommen war. Das Amulett würde er noch nicht abschicken – Napoleon sollte erst auf dem Höhepunkt der Ereignisse seinen Einfluß auf Freddie verlieren. Doch der Brief an den König mußte jetzt abgeschickt werden, wenn er noch rechtzeitig in Versailles eintreffen sollte, damit dessen Antwort noch vor der Frühlingsschlacht mit den Amerikanern erreichte.
    Bin ich ein Verräter, daß ich für die Niederlage meines Königs und meines Landes arbeite? Nein, ich bin es nicht, ganz gewiß nicht. Denn wenn ich glaube, daß es meinem geliebten Frankreich auch nur im geringsten diente, würde ich Napoleon dabei helfen, seinen Sieg über die Amerikaner zu erringen, und wenn es auch bedeutete, die Sache der Freiheit in diesem neuen Land zuschanden zu machen. Denn obwohl ich ein Feuillant bin, ein Demokrat, ja sogar in tiefstem Inneren meines Herzens ein Jakobiner, obwohl meine Liebe zu Amerika größer ist als die irgendeines anderen Mannes mit Ausnahme von Franklin oder Washington, die beide tot sind, oder von Jefferson unter den Lebenden. Trotz alledem bin ich zuerst Franzose, und was soll mich die Freiheit in irgendeinen Winkel von Gottes Welt scheren, wenn es in Frankreich keine gibt?
    Nein, ich tue all dies, weil eine schreckliche, demütigende Niederlage in Kanada genau das ist, was Frankreich braucht, vor allem wenn deutlich zu erkennen ist, daß diese Niederlage durch König Charles unmittelbare Intervention verursacht wurde. Durch eine unmittelbare Intervention wie beispielsweise jener, den beliebten und brillanten Bonaparte am Vorabend der Schlacht seines Kommandos zu entheben, um ihn durch einen Esel wie de Maurepas zu ersetzen.
    Denn da lag noch ein letzter Brief; er klang scheinbar ganz harmlos, mit Geplauder über die Jagd und das langweilige Leben in Niagara. Darin verborgen aber war der gesamte Text der beiden Briefe Napoleons und Frederics, um sofort veröffentlicht zu werden, sobald die Nachricht der französischen Niederlage in Paris eintraf. Robespierre würde diesen chiffrierten Brief fast ebenso schnell in den Händen halten wie der König das Original Napoleons.
    Er entzündete eine Wachskerze und versiegelte mit einigen Tropfen den Brief an den König und den an seinen Vertrauensmann, um seinen Petschaft in das Wachs zu drücken. Dann rief er seinen Adjutanten herbei, der beide Briefe in den Postsack gab, den er schließlich zum Schiff brachte – zu dem letzten Schiff, das noch in Sicherheit den Fluß hinabfahren und Frankreich vor dem Winter erreichen würde.
    Nun blieb noch der Brief an de Maurepas und das Amulett. Wie ich es bedaure, dich zu besitzen, sagte er zu dem Amulett. Wenn doch auch ich von Napoleon getäuscht worden wäre, wenn ich doch nur hätte jubeln können, als er sich unausweichlich seinen

Weitere Kostenlose Bücher