Der rote Prophet
werden sie es noch gründlich bedauern.
2. Ta-Kumsaw
Während Hooch zusah, wie Jackson den Fluß überquerte, beobachtete Ta-Kumsaw den weißen Whiskyhändler und erkannte, was er tat. Das erkannte auch jeder andere rote Mann, der sich die Mühe machte hinzusehen – zumindest jeder nüchterne rote Mann. Der weiße Mann tat viele Dinge, die der Rote nicht verstand, aber wenn er mit Feuer, Wasser, Erde und Luft herummachte, konnte er das vor keinem Roten verbergen.
Ta-Kumsaw sah zwar nicht, wie das Sattelleder auf Jacksons Pferd brannte. Er spürte auch nicht die Hitze. Statt dessen sah er eine Bewegung, einen winzigen Wirbelwind, der seine Aufmerksamkeit erregte. Eine Krümmung der glatten Oberfläche des Landes. Die meisten roten Männer konnten solche Dinge nicht ebenso scharf wahrnehmen wie Ta-Kumsaw. Sein jüngerer Bruder, Lolla-Wossiky, war der einzige, den Ta-Kumsaw kannte, der so etwas noch intensiver wahrnahm. Sehr viel intensiver. Ta-Kumsaw dachte an ihren Vater, Pucky-Shinwa, wie er von Lolla-Wossiky gesagt hatte, daß er ein Schamane werden würde. Ta-Kumsaw aber ein Kriegshäuptling.
Das war gewesen, bevor Lügenmaul Harrison Pucky-Shinwa vor Lolla-Wossikys Augen erschossen hatte. Ta-Kumsaw war an diesem Tag auf die Jagd gegangen, hatte aber den Mord gespürt, als wäre unmittelbar hinter ihm ein Gewehr abgefeuert worden. Wenn ein weißer Mann einen Zauber oder einen Fluch verhängte oder mit der Rute ging, fühlte sich das für Ta-Kumsaw wie ein Jucken unter der Haut an, aber wenn ein weißer Mann kämpfte, spürte er es wie einen Messerstich.
Er war von einem anderen Bruder begleitet worden, Methowa-Tasky, und hatte ihm zugerufen: »Hast du es gespürt?«
Methowa-Taskys Augen hatten sich geweitet. Er hatte es nicht gespürt. Doch schon damals, schon in diesem Alter – er war noch keine dreizehn gewesen – hatte Ta-Kumsaw nicht an sich selbst gezweifelt. Er hatte es gespürt. Ein Mord war begangen worden, und er mußte sofort zu dem sterbenden Mann.
Also hatte er sie angeführt und war durch den Wald gelaufen. Wie alle roten Männer damals, war seine Harmonie mit dem Wald vollkommen gewesen. Er brauchte nicht darüber nachzudenken, wohin er den Fuß setzte; er wußte, daß die Zweige unter seinen Füßen weich werden und nachgeben würden, daß das Laub sich befeuchten und nicht rascheln würde, daß die Äste, die er beiseite drückte, sofort wieder an ihren richtigen Ort zurückschnellen und keinerlei Spuren hinterlassen würden. Manche Weiße waren stolz darauf, daß sie sich genauso leise bewegen konnten wie ein Roter – doch das taten sie, indem sie sich langsam, vorsichtig bewegten, sorgfältig den Boden beobachtend und Sträuchern aus dem Weg gehend. Sie erfuhren nie, wie wenig Mühe ein roter Mann sich gab, um kein Geräusch, keine Spur zu hinterlassen.
Ta-Kumsaw dachte nicht etwa an seine Schritte, ja, er dachte überhaupt nicht an sich selbst. Er dachte an das grüne Leben des Waldlands um ihn herum und an den schwarzen Strudel in seiner Mitte, unmittelbar vor seinem Gesicht, der ihn immer kräftiger und schneller in die Tiefe zog, dem Ort entgegen, wo das lebende Grün wie eine Wunde aufgerissen worden war, um einen Mord durchzulassen. Lange bevor sie am Ziel waren, konnte selbst Methowa-Tasky es spüren. Dort auf dem Boden lag ihr Vater, eine Kugel im Gesicht. Und neben ihm, stumm und blicklos, Lolla-Wossiky, zehn Jahre alt.
Ta-Kumsaw trug den Leichnam seines Vaters auf den Schultern nach Hause wie ein totes Reh. Methowa-Tasky führte Lolla-Wossiky an der Hand, sonst hätte der Junge sich nicht von der Stelle bewegt. Mutter empfing sie mit großem Klagegeschrei, denn auch sie hatte den Tod gespürt, hatte aber nicht gewußt, daß es ihr eigener Mann war, bis ihre Söhne ihn zurückgebracht hatten. Mutter band den Leichnam ihres Mannes auf Ta-Kumsaws Rücken; dann erklomm Ta-Kumsaw den höchsten Baum, löste den Leichnam seines Vaters von seinem Rücken und befestigte ihn am höchsten Ast, den er erreichen konnte, der so hoch hing, daß die Sonnenstrahlen den ganzen Tag sein Gesicht berührten. Die Vögel und Insekten würden von ihm essen; die Sonne und die Luft würden ihn trocknen; der Regen würde seine letzten Überreste auf die Erde herabspülen. So hatte Ta-Kumsaw seinen Vater an das Land zurückgegeben.
Doch was sollten sie nun mit Lolla-Wossiky tun? Er sprach nicht, er aß nur, wenn ihn jemand fütterte, und wenn man ihn nicht an die Hand genommen und geführt hätte,
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