Der rote Prophet
wäre er auf alle Zeiten an ein und demselben Ort geblieben. Mutter war erschrocken darüber, was mit ihrem Sohn geschehen war. Mutter liebte Ta-Kumsaw sehr, mehr als irgendeine andere Mutter im Stamm ihren Sohn liebte; und dennoch liebte sie Lolla-Wossiky noch mehr. Oftmals hatte sie ihnen allen erzählt, wie Lolla-Wossiky noch als Säugling geweint hatte, als die Luft jeden Winter plötzlich bitter kalt wurde. Nie konnte sie ihn dazu bringen, damit aufzuhören, so viele Bärenfelle und Büffelumhänge sie auch auf ihn legte. Und eines Winters war er dann alt genug, um zu sprechen, und er sagte ihr, warum er weinte. »Weil die Bienen alle sterben«, sagte er. Das war Lolla-Wossiky – der einzige Shaw-Nee, der jemals den Tod der Bienen gespürt hatte.
Er war es, der neben seinem Vater gestanden hatte, als Colonel Bill Harrison ihn erschoß. Wenn Ta-Kumsaw diesen Mord schon einen halben Tagesmarsch entfernt wie einen Messerstich empfunden hatte, was hatte dann erst Lolla-Wossiky gefühlt? Wenn er schon den Tod der Bienen im Winter beweinte, was mochte er da erst empfinden, als ein weißer Mann vor seinen Augen seinen Vater ermordete?
Ein paar Jahre später begann Lolla-Wossiky schließlich wieder zu reden, doch das Feuer in seinen Augen war erloschen, und er war achtlos geworden. Er verlor sein Auge durch einen Unfall, indem er nämlich stolperte und mit dem Gesicht auf den kurzen, schroffen Stumpf eines Strauchs stürzte. Gestolpert und gestürzt! Welchem roten Mann wäre so etwas passiert? Es war, als hätte Lolla-Wossiky jedes Gespür für das Land verloren; er war so stumpfsinnig geworden wie ein Weißer.
Vielleicht aber, dachte Ta-Kumsaw, vielleicht hallt dieser längst verklungene Gewehrschuß noch immer so laut in seinem Kopf, daß er nichts anderes mehr hören kann; vielleicht ist dieser alte Schmerz immer noch so stechend, daß er das Kitzeln der lebendigen Welt nicht mehr spürt. Schmerz, Schmerz und Schmerz – bis der erste Schluck Whisky Lolla-Wossiky lehrte, wie er ihm die Spitze nehmen konnte.
Deshalb schlug Ta-Kumsaw seinen Bruder Lolla-Wossiky nie, obwohl er jeden anderen Shaw-Nee geschlagen hätte, sogar seine Brüder, ja sogar alte Männer, wenn er sie mit dem Branntwein des weißen Mannes in der Hand angetroffen hätte.
Doch der weiße Mann hatte nie geahnt, was der rote Mann gesehen und gehört und gespürt hatte. Der weiße Mann hatte Tod und Leere hierhergebracht. Der weiße Mann hatte weise alte Bäume gefällt, die noch soviel zu sagen gehabt hätten; junge Schößlinge, denen noch viele Leben bevorgestanden hatten; und der weiße Mann hatte auch nie gefragt: Wäret ihr willig, für mich und meinen Stamm ein Zuhause zu bauen? Fällen und schneiden und sägen und brennen, das war der Weg des weißen Mannes. Nimm vom Wald, nimm vom Land, nimm vom Fluß, aber gib nie wieder etwas zurück. Der weiße Mann tötete Tiere, die er nicht brauchte, Tiere, die ihm nichts taten; aber wenn auch nur ein Bär im Winter hungrig erwachte und auch nur ein einziges junges Ferkel riß, dann jagte der weiße Mann ihn und tötete ihn aus Rache. Er spürte nie das Gleichgewicht des Landes.
Kein Wunder, daß das Land den weißen Mann haßte!
Kein Wunder, daß alles Natürliche des Landes gegen seinen Schritt rebellierte und dem roten Mann zurief: Hier hat der Feind gestanden! Hier ist der Eindringling entlanggekommen, durch dieses Gestrüpp, diesen Hügel hinauf! Der weiße Mann witzelte darüber, daß die Roten einen Mann sogar noch im Wasser verfolgen konnten, sie lachten, als sei es nicht wahr. Doch es war wahr, denn wenn ein weißer Mann einen Fluß oder einen See entlangfuhr, dann perlte und schäumte und wogte das Wasser noch Stunden danach.
Und nun steht Hooch Palmer da, ein Giftverkäufer und hinterhältiger Mörder, und legt sein silbernes Feuer auf dem Sattel eines anderen weißen Mannes; glaubt, daß niemand davon weiß. Diese weißen Männer mit ihren schwachen, kleinen Fähigkeiten. Wissen sie denn nicht, daß ihre Zauber nur unnatürliche Dinge abwehren können? Wenn ein Dieb kommt und weiß, daß er Unrecht tut, dann läßt ein guter, kräftiger Abwehrzauber seine Furcht so lange wachsen, bis er aufschreit und davonrennt. Doch der rote Mann ist niemals ein Dieb. Der rote Mann gehört immer dorthin, wo immer er gerade auf diesem Land sein mag. Für ihn ist der Zauber nur eine kalte Stelle, ein Beben der Luft und nichts weiter.
Ta-Kumsaw sah, wie Hooch sich abwandte und ins Fort zurückkehrte.
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