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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Stofffetzen verschlossen. Sie hingen über den Flaschenrand und waren mit schwarzem, mehrfach um die Flasche gewickelten Klebeband fixiert.
    Gorenko nahm eine der Flaschen heraus und hielt sie hoch. »Darin befindet sich eine Mischung aus Paraffin, Benzin, Zucker und Teer. Der Stoffpfropfen wurde in Aceton getaucht, das man dann trocknen ließ. Zur Verwendung: Sie entzünden den Stofffetzen und werfen die Flasche auf den Panzer. Aber Ihr Wurf muss sehr präzise sein. Die Flasche muss genau auf der Motorabdeckung landen. Dann läuft die brennende Flüssigkeit durch das Lüftungsgitter auf den Motor, der dadurch in Brand gesetzt wird. Aber selbst wenn das nicht geschieht, ist die Hitzeentwicklung so groß, dass die Gummischläuche zum Kühler, die Kraftstoffzuleitung und der Lufteinlass schmelzen. Der Panzer wird dadurch gestoppt …«
    »Aber nur, wenn ich so nahe herankomme, dass ich die Flasche auf den Motor werfen kann«, sagte Kirow.
    »Genau«, erwiderte Gorenko.
    »Dafür müsste ich eigentlich doch am besten auf dem Panzer sein.«
    »Ich sagte doch, ein letzter Ausweg«, antwortete Gorenko und stellte die Flasche zurück in den Weidenkorb.
    Bevor sie sich verabschiedeten, zog Gorenko Pekkala zur Seite.
    »Können Sie Uschinskij etwas ausrichten?«
    »Unter Umständen«, erwiderte Pekkala, »je nachdem, wie dieser Einsatz ausgeht.«
    »Sagen Sie ihm, es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben. Sagen Sie ihm, ich wünschte, er wäre jetzt hier.«

    Sie waren vierundzwanzig Stunden unterwegs, um zur polnischen Grenze zu gelangen. Kirow und Pekkala wechselten sich alle drei Stunden am Steuer ab. Maximow saß mit gefesselten Händen auf der Rückbank.
    Kirow hatte auf den Handschellen bestanden.
    »Halten Sie das wirklich für nötig?«, hatte Pekkala gefragt.
    »Das ist bei Gefangenentransporten so vorgeschrieben«, hatte Kirow geantwortet.
    »Nehmen Sie es ihm nicht übel«, hatte darauf Maximow gesagt. »Schließlich helfe ich Ihnen nicht, weil ich zu dem Schluss gekommen bin, dass Sie recht haben. Ich bin einzig und allein hier, um Konstantin Nagorski das Leben zu retten.«
    »Ob ich Ihnen traue oder nicht«, hatte Kirow geantwortet, »wird Kropotkin kaum dazu bewegen, seine Meinung zu ändern.«
    Es war Frühling. Zu Hause in Moskau bekam das Pekkala nur durch Kirows schmale Pflanzgefäße auf dem Fensterbrett mit und vielleicht noch durch die Blumen in den hohen Kübeln auf dem Markt des Bolotnia-Platzes oder den Tulpen, die der Jelissejew-Laden alljährlich in Hammer-und-Sichel-Form arrangierte. Hier aber umschwirrte der Frühling sie wie ein sacht drehender Wirbelwind, der die schwarze Karosserie des Emka mit leuchtend gelb-grünem Staub bemalte.
    Sie konnten von Glück reden, dass die Rasputiza, die Wegelosigkeit, schon hinter ihnen lag. Damit wurde in Russland die Zeit der Schneeschmelze und des Regens bezeichnet, in der die Straßen im Schlamm versanken. Allerdings gab es immer noch Stellen, wo der Weg in einer weiten Wasserfläche verschwand, bevor er am gegenüberliegenden Ufer wieder auftauchte und sich weiter unbeirrt über das Land schlängelte. Mitten in diesen Seen zeigten manchmal geknickte Wegweiser auf eine Welt, die nun unter Wasser lag.
    Die Umwege kosteten sie Stunden, sie folgten Straßen, die auf keiner Karte verzeichnet waren, und jene, die verzeichnet waren, endeten mitunter unerklärlicherweise mitten im Nichts.
    Draußen huschten Dörfer an ihnen vorbei, deren Straßen von weißen Lattenzäunen gesäumt waren.
    Sie hielten bei Regierungsdepots zum Auftanken an, wo der ölgetränkte Boden in allen Regenbogenfarben schimmerte. Halb verborgen hinter den Bergen aufgeschichteter Autoreifen überwucherten milchig purpurrote Hyazinthen die Hecken. Ihr Duft vermischte sich mit dem Gestank verschütteten Diesels.
    Diese Depots an der Moskauer Fernstraße lagen jeweils hundert Kilometer auseinander. Treibstoff bekam man in ihnen ausschließlich mit staatlich ausgegebenen Marken. Um zu verhindern, dass diese Marken auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden, waren sie immer auf den jeweiligen Empfänger persönlich ausgestellt. In jedem Depot überprüften Kirow und Pekkala daher, ob Kropotkin seine Marken eingelöst hatte. Es fand sich nichts.
    »Was ist mit den Depots abseits der Straße?«, fragte Pekkala einen Depotleiter, einen Mann mit fusseligem Stoppelbart.
    »Gibt es nicht«, erwiderte der Leiter, nahm sein Gebiss heraus und polierte es mit seinem Taschentuch, bevor er es wieder einsetzte.

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