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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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lediglich dichtes, die karge, sumpfige Landschaft überwucherndes Unterholz. Die Monotonie wurde nur durch gelegentliche schwarze, an den Zaun geschraubte Metallschilder unterbrochen. In mattgelber Farbe war darauf ein kieferloser Totenschädel mit gekreuzten Knochen gemalt.
    »Sieht doch ziemlich sicher aus«, bemerkte Kirow.
    Pekkala war davon keineswegs überzeugt. Einschüchternde Schilder und ein Zaun, der mit jeder besseren Haushaltszange durchgezwickt werden konnte, machten auf ihn einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck.
    Schließlich kamen sie an ein Tor, gleich daneben stand eine hölzerne Wachbaracke, die kaum groß genug für eine Person war. Mittlerweile regnete es. Wie Silbermünzen sammelten sich die Tropfen auf der Teerpappe des Unterstands.
    Kirow hielt den Wagen an und hupte.
    Sofort stürzte ein Mann aus der Baracke. Er trug eine Armeeuniform mit einfachem, von einem schweren Lederholster nach unten gezogenen Ledergürtel. Eilig entriegelte der Soldat die Schranke, schob einen Metallbolzen zurück, der so dick wie ein Handgelenk war, und schwang die Schranke nach oben.
    Kirow fuhr so weit vor, bis er neben dem Wachmann zum Stehen kam.
    Pekkala kurbelte die Scheibe nach unten.
    »Sind Sie der Doktor?«, fragte der Soldat aufgeregt. »So schnell habe ich Sie gar nicht erwartet.«
    »Doktor?«, fragte Pekkala.
    Die trüben Augen des Wachmanns funkelten plötzlich. »Wenn Sie kein Doktor sind, was wollen Sie dann hier?«
    Pekkala griff in seine Innentasche, um seinen Pass vorzuzeigen.
    Der Wachmann zog seinen Revolver und richtete ihn auf Pekkalas Gesicht.
    Pekkala erstarrte.
    »Langsam«, sagte der Wachmann.
    Pekkala zog seinen Pass heraus.
    »Halten Sie ihn hoch, damit ich ihn sehen kann«, sagte der Wachposten.
    Pekkala tat wie angewiesen.
    Der Pass war ungefähr so groß wie eine ausgestreckte Männerhand, er war von mattroter Farbe und hatte einen Umschlag aus stoffbezogenem Karton, wie man ihn von alten Schulbüchern kannte. Vorn war das in zwei Weizengarben eingebettete sowjetische Staatswappen aufgedruckt. Innen, in der oberen linken Ecke, war mit einem Hitzesiegel Pekkalas Lichtbild angebracht, dessen Emulsion dadurch Risse bekommen hatte. Darunter fanden sich in bläulich grünen Buchstaben der Schriftzug NKWD sowie ein Stempel, der bestätigte, dass sich Pekkala auf einem Sondereinsatz für die Regierung befand. Geburtsdatum, Blutgruppe und staatliche Identifikationsnummer füllten die rechte Seite.
    Die meisten Regierungspässe enthielten nur diese beiden Seiten, in Pekkalas Fall aber war noch eine dritte Seite eingefügt. Auf kanariengelbem Papier, rot umrandet, war Folgendes zu lesen:

    Die durch dieses Dokument ausgewiesene Person handelt auf direkten Befehl des Genossen Stalin.

    Sie ist unter keinen Umständen zu befragen oder in Gewahrsam zu nehmen.

    Sie ist ermächtigt, Zivilkleidung zu tragen, Waffen mit sich zu führen, verbotene Güter zu transportieren, u.a. Gift- und Sprengstoffe sowie fremde Währungen. Es ist ihr erlaubt, Sperrgebiete zu betreten und sämtliche Ausrüstungsgegenstände zu requirieren, darunter Waffen und Fahrzeuge.

    Im Fall ihres Todes ist umgehend das Büro für besondere Operationen in Kenntnis zu setzen.

    Diese Sonderseite wurde offiziell als Erlaubnisschein für Geheimoperationen bezeichnet, inoffiziell sprach man nur vom Schattenpass. Damit konnte man im Dschungel der Gesetze und Bestimmungen, die alle Belange des Staates durchdrangen, nach Belieben verschwinden und wieder auftauchen. Von diesen Schattenpässen gab es kein Dutzend. Selbst in den Reihen des NKWD hatten die meisten einen solchen Pass noch nie zu sehen bekommen.
    Regen tropfte auf den Pass und verdunkelte das Papier.
    Blinzelnd versuchte der Wachposten, die Worte zu entziffern. Er brauchte eine Weile, bis er verstand, was er in Händen hielt. Dann sah er zu seiner Waffe, als hätte er nicht die geringste Ahnung, wie er dazu gekommen war, sie zu ziehen. »Ich bitte um Entschuldigung«, murmelte er und steckte sie eilig ins Holster zurück.
    »Warum dachten Sie, ich wäre Arzt?«, fragte Pekkala.
    »Es hat einen Unfall gegeben«, erklärte der Wachposten.
    »Was ist passiert?«
    Der Wachmann zuckte mit den Achseln. »Kann ich Ihnen nicht sagen. Man hat mich vor einer halben Stunde angerufen und gesagt, dass bald ein Arzt eintreffen wird, den ich ohne Verzögerung durchlassen soll. Wie auch immer, Oberst Nagorski hat die Sache sicherlich im Griff.« Er hielt inne. »Hören Sie, sind Sie

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