Der Rote Sarg
Schattenpass reicht dafür aus.«
»Gehen Sie jetzt«, sagte Pekkala. »Kehren Sie ins Büro zurück. Wenn Sie dort sind, rufen Sie Major Lysenkowa an. Lassen Sie sich von der Hauptvermittlung durchstellen.«
»Warum sollte ich mit ihr reden?«, fragte Kirow.
»Sollen Sie ja auch gar nicht. Aber die Vermittlung soll den Zeitpunkt Ihres Anrufs aufzeichnen. Damit können Sie beweisen, dass Sie nicht in der Lubjanka waren. Erfinden Sie irgendeine Ausrede, sprechen Sie mit ihr eine Minute lang, dann legen Sie auf und warten auf mich.«
»Sie wollen das wirklich durchziehen?«
»Ich werde nicht zusehen, wie ein Unschuldiger nach Mamlin Drei geschickt wird. Jetzt, Kirow, mein Freund, gehen Sie und tun, was ich Ihnen gesagt habe.«
Ohne einen weiteren Kommentar wandte sich der junge Mann zur Tür.
»Danke«, flüsterte Pekkala.
Plötzlich fuhr Kirow herum, diesmal aber hatte er seine Tokarew auf Pekkala gerichtet.
»Was tun Sie da?«, fragte Pekkala.
»Sie werden es mir danken«, entgegnete Kirow, »wenn Sie wieder bei Sinnen sind.«
Ruhig starrte Pekkala in den Lauf. »Ich sehe, Sie haben Ihre Waffe dabei. Wenigstens das konnte ich Ihnen beibringen.«
»Sie haben mir auch beigebracht, dass das Gesetz Gesetz ist«, sagte Kirow. »Sie können sich nicht aussuchen, woran Sie sich halten wollen. Es gab mal eine Zeit, da dachte ich, Sie kennen den Unterschied zwischen richtig und falsch.«
»Je älter ich werde, Kirow, desto schwieriger wird es, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
Einen langen Augenblick standen sich die beiden Männer gegenüber.
Der Pistolenlauf begann in Kirows Hand zu zittern. »Sie wissen, dass ich Sie nicht erschießen kann«, flüsterte er.
»Ich weiß«, erwiderte Pekkala freundlich.
Kirow ließ die Waffe sinken und steckte sie umständlich in das Holster. Kopfschüttelnd verließ er den Raum.
Pekkala und Uschinskij waren allein.
Uschinskij stieß ein heiseres Rasseln aus.
Pekkala brauchte etwas, bis er erkannte, dass Uschinskij lachte.
»Major Kirow hat recht, nicht wahr? Sie können mich hier nicht rausschaffen.«
»Nein, Uschinskij, das kann ich nicht.«
»Was man sich über dieses Lager erzählt, ist es wirklich so schlimm?«
»Schlimmer, als Sie sich jemals vorstellen können.«
Ein leises Stöhnen kam ihm über die Lippen. »Bitte, Inspektor. Bitte, lassen Sie nicht zu, dass ich dorthin gebracht werde.«
»Ihnen ist klar, worüber wir reden?«, fragte Pekkala.
»Ja.« Uschinskij mühte sich auf die Beine, schaffte es aber nicht. »Helfen Sie mir auf«, flehte er.
Pekkala griff unter seine unverletzte Schulter und zog ihn hoch.
Der Wissenschaftler sackte schwer atmend gegen die Wand. »Gorenko glaubt, ich würde ihn hassen, aber in Wahrheit ist er der einzige Freund, den ich habe. Sagen Sie ihm nicht, was mit mir geschehen ist.«
»Nein.«
»Welcher Panzer ist abgeholt worden?«, fragte Uschinskij.
»Das weiß ich nicht.«
»Ich habe immer gehofft, es wäre die Nummer 4.«
»Professor, wir haben nicht viel Zeit.«
Uschinskij nickte. »Ich verstehe. Adieu, Inspektor Pekkala.«
»Adieu, Professor Uschinskij.« Pekkala griff unter den Mantel und zog seinen Webley.
Am anderen Ende des Gangs hörte der diensthabende Wachposten den Schuss. Er klang so gedämpft, dass er ihn im ersten Moment für das Klappern der Sichtfensterabdeckung hielt, die ein Wachposten geöffnet hatte, der einen Korridor weiter einen Kontrollgang durchführte. Doch als dieser Wachposten den Kopf um die Ecke steckte und »Was war das?« fragte, wusste er, was geschehen war.
Der Wachmann rannte zu Uschinskijs Zelle, schob den Riegel zurück und riss die Tür auf. Das Erste, was er sah, war das verspritzte Blut an der Wand.
Uschinskij lag in der Ecke, ein Bein war untergeschlagen, das andere hatte er von sich gestreckt.
Pekkala stand in der Mitte der Zelle. Er hielt immer noch den Webley in der Hand. Im Schein der Glühbirne kräuselte sich der Rauch, in der Luft hing der Geruch nach verbranntem Kordit.
»Was zum Teufel ist hier passiert?«, brüllte der Wachmann.
»Bringen Sie mich zum Gefängniskommandanten«, sagte Pekkala.
Fünf Minuten später stand Pekkala im Büro eines stiernackigen Mannes mit kahlrasiertem Schädel. Er hieß Maltsew und war Leiter der Kommandatura, der für die Hinrichtungen verantwortlichen Lubjanka-Sonderabteilung. In den zurückliegenden drei Jahren hatte er persönlich über tausend Menschen liquidiert. Nun saß er an seinem Schreibtisch und meinte, sich
Weitere Kostenlose Bücher