Der Rote Sarg
der Tankwart und Mechaniker hatte ihn dazu überreden können, Öl und Kühlerflüssigkeit zu wechseln. Dabei war dem Mechaniker aufgefallen, dass der gesamte Kühler ausgetauscht gehörte, wofür fast der gesamte Tag draufgegangen war.
»Eigentlich sollten wir auch gleich noch den Kraftstoffanzeiger austauschen«, sagte der Mechaniker. »Der scheint nämlich festgeklemmt zu sein.«
»Wie lang wird das dauern?«, fragte Pekkala, mittlerweile am Ende seiner Geduld.
»Wir müssen das Teil aus Moskau kommen lassen«, erklärte er. »Sie müssten den Wagen über Nacht hierlassen, aber wir haben hinten eine Pritsche …«
»Nein!«, rief Pekkala erbost. »Sorgen Sie dafür, dass ich so schnell wie möglich fortkann!«
So war es spät geworden, bis er in seinem Büro eintraf. Auf halber Höhe der Treppe kam ihm Kirow entgegen.
»Da sind Sie ja endlich!«, begrüßte Kirow ihn.
»Was ist los?«
»Wir hatten einen Anruf aus dem Kreml.«
Pekkala schnürte sich die Brust zusammen. »Wissen Sie, worum es geht?«
»Hat man mir nicht gesagt. Nur, dass Sie so schnell wie möglich kommen sollen. Genosse Stalin wartet auf Sie.«
»Er wartet auf mich?«, entfuhr es Pekkala. »Das ist ja mal was ganz Neues.«
Sie gingen gemeinsam auf die Straße hinunter und zum Wagen, dessen Motor noch warm war.
»Die Sache ist erledigt!«, schrie Stalin.
Zusammen gingen sie durch einen Korridor zu Stalins Arbeitszimmer. Stabsoffiziere und Büromitarbeiter in Militäruniform rückten betreten zur Seite, bis sie mit dem Rücken dicht an der Wand standen, und starrten vor sich hin, als wären sie verkleidete Statuen. Stalin ignorierte sie.
»Was ist erledigt?«, fragte Pekkala.
»Der Fall!«, erwiderte Stalin. »Wir haben den Mann, der Nagorski umgebracht hat.«
Aus den Büros zu beiden Seiten erklang das Geklapper von Schreibmaschinen und das Gemurmel zahlloser Stimmen, metallene Aktenschränke wurden aufgezogen und wieder geschlossen.
»Ach ja?« Pekkala konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Wer ist es?«
»Das weiß ich noch nicht. Der Abschlussbericht liegt mir noch nicht vor. Ich kann Ihnen nur sagen, wir haben einen Mann in Gewahrsam, und er hat gestanden, Nagorski getötet zu haben, außerdem wollte er Informationen zum Konstantin-Projekt an die Deutschen verkaufen.«
An der Tür zum Vorzimmer schlugen die beiden jeweils mit einer Maschinenpistole bewaffneten Wachposten die Hacken zusammen. Einer der beiden öffnete mit einer schnellen Bewegung die Tür, so dass Stalin ohne die geringste Verzögerung eintreten konnte.
Die drei Beamten, Poskrjobyschew eingeschlossen, fuhren von ihren Plätzen hoch. Poskrjobyschew beeilte sich, zur Bürotür zu kommen, um sie für Stalin zu öffnen.
»Aus dem Weg«, blaffte Stalin.
Ohne eine Miene zu verziehen, hielt Poskrjobyschew mitten in der Bewegung inne, drehte auf dem Absatz um und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
Stalin schloss in seinem Büro die Tür und setzte ein breites Grinsen auf. »Pekkala, ich muss sagen, es freut mich ungemein, dass Sie zur Abwechslung mal einen Fall nicht lösen konnten.«
»Wie haben Sie den Täter geschnappt?«, fragte Pekkala.
»Diese Frau hat ihn gebracht, diese NKWD-Majorin, die Sie für ganz nützlich erachtet haben.«
»Lysenkowa?«
»Genau. Sie hat einen Anruf aus Nagorskis Anlage erhalten, jemand dort hat den Mörder identifizieren können.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Pekkala. »Wir hatten uns darauf verständigt, dass mich Major Lysenkowa auf dem Laufenden hält.«
Stalin grummelte missmutig vor sich. »Das zählt jetzt nicht mehr, Pekkala. Was zählt, ist, dass wir den Täter haben.«
»Was ist mit der Weißen Gilde und den ermordeten Agenten?«
»Sieht so aus, als hätte das alles damit überhaupt nichts zu tun«, erwiderte Stalin.
»Kann ich mit dem Mann reden?«, fragte Pekkala.
Stalin zuckte mit den Schultern. »Natürlich. Ich weiß nicht, in welchem Zustand er sich befindet, aber ich gehe davon aus, dass er noch reden kann.«
»Wo wird er festgehalten?«
»In der Lubjanka, in einer der Isolationszellen. Kommen Sie!« Stalin legte Pekkala die Hand auf die Schulter und schob ihn an eines der hohen Fenster, von denen man einen Blick auf den weitläufigen, leeren Paradeplatz hatte. Stalin selbst blieb einige Schritte vor dem Fenster stehen. Er ging nicht mehr das Risiko ein, sich draußen sehen zu lassen. »In wenigen Monaten«, sagte er, »werden dort unten von einem Ende zum anderen T-34-Panzer stehen, und
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