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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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verhört zu haben.
    Hinter Pekkala standen zwei bewaffnete Wachen.
    »Ich fordere eine Erklärung von Ihnen!« Maltsew ballte die Fäuste, die wie zwei fleischige Handgranaten auf dem Schreibtisch lagen.
    Pekkala zog seinen NKWD-Pass heraus und reichte ihn Maltsew. »Lesen Sie«, sagte er leise.
    Maltsew schlug das rote Büchlein auf. Sofort blieb sein Blick am Erlaubnisschein für Geheimoperationen hängen. Er sah zu den beiden Wachen. »Ihr zwei«, sagte er. »Raus!«
    Eiligst verließen die Wachleute den Raum.
    Maltsew gab den Pass zurück. »Ich hätte wissen müssen, dass Sie einen Schattenpass haben. Ich kann Sie nicht verhaften. Ich kann noch nicht einmal fragen, warum Sie es getan haben, nicht wahr?«, sagte er und wirkte noch ungehaltener als zuvor.
    »Nein«, erwiderte Pekkala.
    Maltsew ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen und faltete die Hände. »Es spielt aber auch keine Rolle mehr. Wir haben sein Geständnis. Die Papiere für seine Überstellung nach Mamlin liegen bereits vor. Er hätte so oder so nicht mehr lange zu leben gehabt.«
    Eine Viertelstunde später schlossen sich die Tore der Lubjanka hinter Pekkala. Er sah die Straße auf und ab. Der Emka war fort. Kirow war seinem Befehl also nachgekommen. Pekkala machte sich zu Fuß auf den Weg zum Büro.
    Aber dort sollte er nicht ankommen.
    Vor sich sah er wieder Kirow, wie er ihn über dem Lauf seiner Pistole angestarrt hatte. Sein Assistent hatte das Richtige getan. Er hatte die Vorschriften befolgt, und wenn er sich weiterhin daran hielt, müsste er jetzt im Büro sitzen und die Anklagepunkte gegen Pekkala wegen Amtsvergehen zu Papier bringen.
    Je mehr Pekkala darüber nachdachte, desto deutlicher hörte er Kropotkins Worte – dass der Tag kommen werde, an dem er sich entscheiden müsse zwischen dem, was seine Arbeit von ihm verlange und was sein Gewissen ihm zugestehe.
    Vielleicht war es an der Zeit, endgültig zu verschwinden, sagte er sich. Plötzlich schien es ihm nicht mehr unmöglich zu sein.
    Er erinnerte sich an den Morgen, an dem er mit dem Zaren auf der Terrasse des Katharinenpalastes gestanden und dabei Ilja beobachtet hatte, die ihre Schülerinnen zur Chinesischen Brücke führte. »Wenn Sie sie entwischen lassen«, hatte der Zar gesagt, »werden Sie sich das nie verzeihen. Und ich Ihnen übrigens auch nicht.«
    Der Zar hatte damals recht gehabt. Pekkala hatte es sich nicht verziehen. Wir haben uns nicht absichtlich getrennt, dachte er. Wir waren von Umständen, die keiner von uns verursacht oder gar gewollt hatte, auseinandergerissen worden. Auch wenn sie jetzt mit einem anderen zusammen ist, auch wenn sie ein Kind hat – welches Gesetz der Welt verlangt von mir, dass ich mich damit abfinden muss, als Gespenst in ihrem Herzen weiterzuleben?
    Sein Büro war nur noch zwei Straßenzüge entfernt, als Pekkala um die Ecke bog und direkt das Café Tilsit ansteuerte. Er wusste nicht, ob er Kropotkin dort finden würde, doch als er in Sichtweite des Cafés kam, sah er ihn bereits auf dem Bürgersteig stehen, gleich neben der doppelseitigen Tafel, auf der Bruno immer das Tagesmenü anschrieb. Kropotkin rauchte eine Zigarette. Das Gesicht war durch eine schmalkrempige Mütze verdeckt, Pekkala aber erkannte ihn an seiner Haltung. Er hatte die Beine leicht gespreizt und eine Hand auf den Rücken gelegt. Einen Polizisten erkannte man immer, auch wenn er schon lange den Dienst quittiert hatte.
    Kropotkin lächelte, als er ihn sah. »Habe mich schon gefragt, ob ich Sie noch mal treffen würde«, sagte er und schnippte die Zigarette auf die Straße.
    Im Café fanden sie einen kleinen Tisch, der unter die Treppe zum ersten Stock gezwängt war. Hier waren sie für sich, niemand konnte sie belauschen.
    Bruno hatte Borschtsch auf der Karte und schöpfte die leuchtend rote Suppe in die üblichen Holzschalen.
    »Ich habe viel über unser letztes Gespräch nachgedacht«, sagte Pekkala, während er die Rote-Bete-Suppe löffelte.
    »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich so offen mit Ihnen geredet habe«, sagte Kropotkin. »So bin ich eben, ich kann es nicht ändern.«
    »Es gibt nichts, was ich Ihnen übelnehmen könnte. Sie haben von der Möglichkeit gesprochen, zu verschwinden.«
    »Ja«, erwiderte Kropotkin, »und mir ist klar, dass es ein Fehler war.«
    Die Worte trafen Pekkala wie ein Schlag. Das war das Letzte, was er von Kropotkin erwartet hatte.
    »Es ist nicht die Zeit zum Abhauen«, führte Kropotkin aus. »Was erreichen wir schon,

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