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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Mittlerweile aber begann sich die Zeit zu beschleunigen. Er konnte nur noch zusehen, wie die Dinge an ihm vorbeizogen, so schnell, dass er sie nicht mehr verstand, bis die Fäden aus Erinnerungen, in die er sich eingesponnen hatte, zu reißen begannen. Und schließlich, als der letzte Faden durchtrennt war, wurde ihm bewusst, dass es kein Zurück mehr gab.
    Kropotkin kam wieder. »Meine Ladung steht bereit«, sagte er. »Ich kann nicht mehr bleiben.«
    »Ich begleite Sie nach draußen«, sagte Pekkala und erhob sich mit eingezogenem Kopf, um nicht gegen die darüberliegende Treppe zu stoßen.
    Draußen gaben sich die beiden Männer die Hand.
    Die Mittagsgäste verließen das Café. Manche von ihnen standen auf dem Bürgersteig, knöpften ihre Mäntel zu oder zündeten sich Zigaretten für den Rückweg zur Arbeit an.
    »Auf Wiedersehen, alter Freund«, sagte Kropotkin.
    Bruno kam mit einem nassen Tuch und einem Kreidestumpen nach draußen. »Suppe ist aus!«, verkündete er, als er an ihnen vorbeikam. Er kauerte sich vor die Tafel und wischte das Wort »Borschtsch« fort.
    Als Pekkala Kropotkins Hand losließ, musste er an die Menschen denken, denen er in seinem Leben begegnet war. Ihre Gesichter huschten an ihm vorüber. Und zu dieser langen Liste fügte er nun, wie in einer Art Fotoalbum, das Bild von Kropotkin hinzu.
    »Auf Wiedersehen«, sagte Pekkala. Seine Stimme wurde vom lauten Dröhnen eines schweren Motorrads übertönt, das in diesem Moment die Straße entlangkam.
    »He!«, rief Bruno.
    Pekkala drehte sich um. Bruno reckte dem Motorradfahrer seinen nassen Lumpen entgegen. Der Fahrer, der mit seiner Maschine fast den Randstein berührte, trug einen Lederhelm mit Brille. Für Pekkala sah er aus wie ein Rieseninsekt auf dem Körper eines Mannes. Der Fahrer streckte einen Arm aus, als wollte er Bruno den Lappen aus der Hand reißen.
    Dieser dämliche Kerl!, dachte Pekkala.
    Und dann sah er die Waffe in der Hand des Fahrers.
    Was darauf folgte, geschah in wenigen Sekunden, Pekkala aber schien es, als hätte sich alles so weit verlangsamt, dass er meinte, die Kugeln sehen zu können, die den Lauf verließen.
    Der Fahrer feuerte, zog gleichmäßig den Abzug durch und gab einen Schuss nach dem anderen ab. Sein Arm ging hin und her, auf dem Bürgersteig aber hielten sich so viele Menschen auf, dass Pekkala nicht erkennen konnte, auf wen er überhaupt zielte.
    Hinter sich hörte er das splitternde Glas der Fensterscheibe des Cafés. Kropotkin sprang zur Seite. Bruno warf sich vom Motorrad weg, blieb aber mit dem Bein an der Speisekartentafel hängen, die nach oben gerissen wurde, so dass die beiden Seiten wie Vogelschwingen aufklappten.
    Pekkala sah sie auf sich zukommen.
    Das war das Letzte, woran er sich erinnern konnte.

    Als Nächstes beugte sich ein Mann über ihn.
    Pekkala packte ihn am Hals.
    Der Fremde lief rot an, seine Augen traten hervor.
    »Aufhören!«, war eine Frauenstimme zu hören.
    Jemand griff sich Pekkalas Hand und versuchte, sie vom Hals zu lösen.
    Pekkala, völlig orientierungslos, sah blinzelnd auf die Hände und folgte ihnen zum Körper einer Frau. Sie trug die Uniform einer Sanitätsschwester – grauer Rock, weiße Bluse und weißes Häubchen mit rotem Kreuz.
    »Lassen Sie los!«, schrie sie. »Er will Ihnen doch nur helfen!«
    Pekkala lockerte den Griff.
    Der Mann fiel nach hintenüber und lag keuchend auf dem Bürgersteig.
    Pekkala rappelte sich hoch. Er stellte fest, dass er sich vor dem Café Tilsit befand. Der Bürgersteig war mit Glasscherben übersät. Nur eine Armlänge von ihm entfernt lag jemand, über den eine schwarze Plane gebreitet war. Weiter unten waren zwei weitere Leichen zu erkennen. Auch sie waren zugedeckt. Blut rann unter den Planen heraus und versickerte zwischen den Rissen des Pflasters.
    Der Mann, den Pekkala gewürgt hatte, kam unsicher auf die Beine. Er hielt sich immer noch den Hals. Auch er trug die Uniform eines Rettungssanitäters.
    Jetzt erinnerte sich Pekkala wieder an die Waffe. »Bin ich getroffen worden?«, fragte er.
    »Nein«, erwiderte der Mann mit heiserer Stimme. »Sie sind von dem hier getroffen worden.«
    Er deutete auf Brunos Speisekartentafel.
    »Sie haben Glück gehabt«, sagte der Mann. »Sie müssen noch nicht mal genäht werden.«
    Pekkala betastete sein Gesicht. Kurz unterhalb des Haaransatzes spürte er eine aufgerissene Stelle. Als er die Hand wegnahm, waren die Fingerspitzen voller Blut.
    Es wimmelte nur so von uniformierten Beamten der

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