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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat N. Elrod
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Eifersucht für das, was ich nicht verstehen konnte.« Kein Schmerz lag in ihrem Tonfall, nur schwermütiges Bedauern.
    »Wie alt warst du damals?«
    Ihr Lächeln kehrte zurück. »Ich war nicht alt, Jonathan. Ich war jung, sehr, sehr jung.«
    Ich hatte sie nie nach ihrem Alter gefragt, aber selbst bei nach der großzügigsten Schätzung konnte sie nicht älter als vierundzwanzig sein, wenn überhaupt. »Ich verstehe. Und nun bist du sehr, sehr alt.«
    »Ja«, sagte sie gelassen. »Ich bin definitiv uralt.«
    Ich fiel in ihren Humor ein. »Aber du erhältst dich auf magische Weise jung, indem du mein Blut trinkst.«
    »Natürlich.«
    »Und das von anderen, wie Tony Warburton?«
    Ihre Augen wurden wachsam, auf der Hut vor jedem Anflug der Eifersucht bei mir. Aber da gab es keine, bloß Neugierde. »Ja. Das muss ich, verstehst du. In dir allein gibt es nicht genug, um mich zu erhalten.«
    »Du redest, als ob du davon lebst«, sagte ich ernst.
    »Das tue ich.«
    Es folgte ein langes Schweigen meinerseits, als ich versuchte die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. »Du machst keine Witze, oder?«
    Sie stützte ihr Kinn auf ihre Hand und betrachtete mich genau. »Nein.«
    »Aber du musst scherzen.« Meine Stimme war ein wenig erhoben. Ein kleiner Hauch von Unbehagen kroch mein Rückgrat hinauf wie ein Luftzug.
    »Glaube, was du willst.«
    Sie machte keine Witze. In diesem Moment wusste ich es. »Wie kannst du? Ich meine, wie ist es möglich?«
    Nora zuckte die Achseln. »Es ist einfach so bei mir. Akzeptiere es.«
    »Natürlich weißt du das. Wurdest du so geboren? Hat deine Mutter dich mit Milch gesäugt ... oder mit Blut?« Mein Unbehagen wurde jäh zur Seite gefegt durch etwas anderes, etwas Dichteres als Luft, aber ebenso unsichtbar. Dunkler. Kälter. Es kroch unter meine Haut, sickerte in meine Muskeln, zerdrückte meine Lungen, kühlte mein jagendes Herz ab.
    Ihr Geheimnis, das wie ein Vorhang zwischen uns gehangen hatte und das ich zuvor – absichtlich – ignoriert hatte, wurde in diesem Sturm zerrissen. Ich erhaschte meinen ersten Blick auf das, was darunter lag. Das Verstehen, von dem ich gedacht hatte, ich wollte es, brach über meinen Verstand herein. Plötzlich wusste ich es, wusste, warum so viele gut aussehende, gesunde junge Männer um sie herum waren, warum sie kamen, warum sie ihr Schweigen benötigte ...
    Und ich war einer von ihnen. Ihr Liebling.
    Oh, lieber Gott...
    Sie blickte mich an. »Jonathan, es spielt wirklich keine Rolle.«
    Mein Verstand wirbelte wie ein Vogel, der von einem unerwarteten Windstoß getroffen wird. Ich versuchte dagegen anzukämpfen.
    »Es spielt wirklich keine Rolle«, wiederholte sie. Ihre Stimme war fest und klar und kraftvoller als sonst. Sie durchströmte meine Ohren, meine Gedanken, meinen Körper. Nichts außer ihr war mehr wichtig. Nicht mein neu erworbenes Wissen. Nicht meine Furcht. Nicht einmal ich selbst.
    Jäh gab ich den Kampf auf und zuckte gleichgültig die Achseln. »Nein. Ich vermute, das tut es nicht.« Meine Stimme war wieder ruhig, aber gleichzeitig klang sie, als benutze sie jemand anderer.
    »Es besteht keine Notwendigkeit, Angst zu haben. Denk nicht drüber nach und du wirst dich besser fühlen.«
    Ein schwaches Lächeln überzog wie Rauch mein Gesicht.
    Sie sah mich einige Minuten lang an. Erst mit der Zeit ließ die Besorgnis auf ihrer Miene und in ihrer Haltung nach.
    »Gut. Nun gibt es etwas, was ich dir sehr gerne zeigen möchte ...« Sie legte meine Arme um ihren Körper, platzierte sie dort, wie jemand die Glieder einer Puppe in Pose bringt. Ich leistete keinen Widerstand. Es war keiner erforderlich.
    Ich liebte sie. Vertraute ihr. Wollte sie.
    Bald fanden meine Arme ihre Stärke wieder und zogen sie von alleine an mich heran.
    Massen von Briefen von zu Hause fanden bald den Weg zu mir. Sie waren schon Monate alt, aber wurden von mir begierig begrüßt. Ich las stets den letzten zuerst, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war, bevor ich sie in die richtige Reihenfolge brachte.
    Die Briefe von Elizabeth waren am längsten. Seite für Seite war beschrieben mit Neuigkeiten und der Art von Beobachtungen, von denen sie wusste, dass sie mich amüsieren würden. Ihre unterhaltende Erzählweise machte die prosaischsten Ereignisse von zu Hause interessant; ihre Schreibweise war so klar, dass ich fast ihre Stimme in meinen Ohren klingen hörte. Ich vermisste sie furchtbar.
    Vaters Briefe waren kürzer, aber voller Liebe und Wärme, was mir sowohl ein

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