Der rote Tod
kenne ihn besser als du. Ich glaube, dass er immer noch auf Miss Jones fixiert ist. Er machte keinen Radau, als sie ihn abwies, was er sonst nie versäumt hat.«
»Vielleicht ist das so, weil er immer noch mit ihr befreundet ist«, murmelte ich.
»Nach meiner Erfahrung schmerzt das mehr, als dass es hilft. Manchmal ist es das Beste, einen klaren Schlussstrich zu ziehen, sonst vergeht die andere Partei vor Gram über die Dinge, die nicht sein dürfen.«
»Wenn er sie liebt, stimme ich mit dir überein, aber er hat nichts gesagt und getan, um das zu zeigen.«
»Zumindest nicht, wenn du in der Nähe bist.«
»Hat er mit dir darüber gesprochen?«
»Nicht direkt, aber er setzt immer eine abscheulich grimmige Miene auf, wenn er weiß, dass du sie besuchst. Er schmollt eine Weile und betrinkt sich dann.«
»Das verbirgt er gut.«
»Tut er das wirklich? Du bemerkst es nicht, weil er bereits immer umgekippt ist, wenn du zurückkommst. Am Morgen geht es ihm immer gut – bis auf den Kater.«
»Soll ich irgendetwas tun, was meinst du?«
»Das weiß ich nicht, alter Freund. Ich dachte nur, ich erwähne es einmal.«
Das ist eine Warnung, dachte ich.
Danach unterließ er es, weitere Gespräche zu dem Thema mit mir zu führen. Mehr als einmal hatte er betont, dass das, was zwischen mir und Nora sowie Nora und seinem Freund passierte, ihn nichts angehe, und er schien damit zufrieden zu sein, es dabei zu belassen. Ich respektierte das und versuchte nicht, ihn zu mehr zu bewegen, aber nun, da ich darauf aufmerksam gemacht worden war, bemerkte ich die kleinen Veränderungen in Warburton und dachte seitdem regelmäßig darüber nach. Aber wieder sagte Nora zu mir, ich solle nicht beunruhigt sein, als ich mit ihr darüber sprach.
Die gesellschaftlichen Nachteile einer Institution wie Cambridge waren von Anfang an offensichtlich, als mir klar wurde, dass der größte Teil meiner Aktivitäten die Anwesenheit von Frauen ausschloss. Es gab Abendessen und Partys aller Art, aber nur für Tutoren und Studenten. Nicht nur einmal, sondern häufig diskutierten Nora und ich darüber, wie ausgesprochen ungerecht eine so lächerliche soziale Trennung war.
Ja, wir fanden Zeit, um zu reden. Man kann sich nur für eine bestimmte Zeit mit der körperlichen Liebe beschäftigen, bevor man Ruhe benötigt. Während dies er Pausen fand ich heraus, dass Nora einen Verstand hatte, der ihrer Schönheit mehr als gleichkam. Wir entdeckten viele Gemeinsamkeiten zwischen uns, die sich auf Menschen und Politik, Geschichte und Literatur erstreckten. Nora war sehr belesen, und obwohl sie offiziell von der Benutzung der Bände in der Universitätsbibliothek ausgeschlossen war, gelang es ihr irgendwie, sich Zugang zu ihnen zu beschaffen, auf der Suche nach ihrem eigenen literarischen Amüsement. Ich nahm an, dass einer ihrer anderen Höflinge ihr dabei half.
»Ohne Bücher würde ich schnell wahnsinnig werden, glaube ich«, gab sie einmal zu, während sie eine seltene Ausgabe durchblätterte, die ich von einem Buchhändler erstanden und ihr für ihre kleine Büchersammlung geschenkt hatte. Sie hatte eine Leidenschaft für Geschichte und ein besonderes Interesse an Biografien. Dieses Buch handelte von dem Leben verschiedener europäischer Monarchen.
»Du bist die mental gesündeste Person, die ich je getroffen habe«, meinte ich. »Warum solltest du wahnsinnig werden?«
»Warum sollte es überhaupt irgendjemand von uns?«, kontert sie, was kaum eine Antwort war. Vielleicht wurde von mir erwartet, dass ich eine lieferte.
»Mein Vater glaubt, es liegt am Blut.«
»Er hat wahrscheinlich Recht«, sagte sie abwesend. Sie wusste mittlerweile alles über Mutters Seite der Familie.
»Bist du besorgt, dass du dich durch mich in Gefahr bringst?« Ich fragte dies in Anbetracht ihrer sinnlichen Vorlieben. »Spielst du mit der Möglichkeit, wahnsinnig zu werden, wenn du von meinem Blut trinkst?«
Sie sah überrascht aus und lachte dann. »Oh, mein Lieber, das wohl kaum. Ich habe nur deinem Vater zugestimmt, was seine Meinung über das natürliche Erbe wie Haar- oder Augenfarbe betrifft. Was mich selbst angeht, meinte ich nur, dass, wenn ich keine Freunde wie diese hätte« – sie wies auf ihr Bücherbrett -»mein Leben unerträglich langweilig wäre. Du hast keine Ahnung, wie bedrückend eine unausgefüllte Stunde sein kann. Ich schon. Ich habe einst Jahre von ihnen überdauert, Jahre zermürbender Unwissenheit und Dummheit, zusammen mit Verachtung und
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