Der Rote Tod
erhob Kohler seine Stimme noch mehr, »es ist Existenz, die sich nicht nur auf eine Gestalt beschränkt. Der Teufel ist vielschichtig. Er ist kreativ. Er schreibt seine eigenen Drehbücher und lässt diejenigen Mitspieler so agieren, wie es ihm gefällt. Er baut sein Universum jedes Mal neu auf, und er gibt denen Halt, die sich nach ihm sehnen. Ich habe mich nach ihm gesehnt. Ich habe ihn gespürt. Ich habe mich ihm hingegeben, und er hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Der Teufel vergisst nichts, auch wenn es schon Hunderte von Jahren zurückliegt. Er ist das wahre Hirn der Welt, und auch in eurer Stadt hat er nichts vergessen...«
Es waren Worte, die nicht in das Stück hineinpassten. Das merkten besonders die Zuschauer, die schon zwei- oder dreimal gekommen waren. Der Monolog war bereits nach den ersten Sätzen verändert worden. Einige schüttelten den Kopf oder schauten sich leicht verwundert an, aber sie hörten gespannt zu.
Richard Kohler sprach weiter. Laut war seine Stimme. Sie erreichte auch die letzten Plätze. »Und weil der Teufel nichts vergisst, hat er sich entschlossen. abzurechnen, auch wenn die Jahrhunderte vergangen sind. Diese Stadt lag in der Agonie einer schweren Seuche. Die Menschen waren hilflos. Sie flehten um Erlösung. Sie wussten bald nicht mehr, wohin mit den Toten, bis jemand sie erhörte und einen Helfer schickte. Es war Alexis Kroland, der Arzt, der Bader, der Mystiker. Er schaffte es, die Pest zu vertreiben. Er rettete zahlreiche Menschen, aber eure Vorfahren haben es ihm nicht gedankt. Sie prellten ihm um den Lohn. Nichts wollten sie’ geben, und als der Arzt nachhakte, da haben sie ihn in den Folterkeller gesteckt. In das Verlies unter dem Rathaus. Dort haben sie ihn gefoltert. Sie schnitten ihm die Haut mit Glasscherben ein. Er sollte ausbluten, um dann wie ein alter Kadaver entfernt zu werden. Es kam nicht so weit. Einer hatte Mitleid mit ihm, und so wurde Alexis Kroland mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt. Die Menschen aber lebten in ihrer satten Zufriedenheit glücklich weiter. Aber sie irrten sich, denn niemand, auch kein Mann der Kirche wirft einen Alexis Kroland hinaus.«
Pause.
Atemlos hatten die Zuschauer zugehört. Diese Worte waren ihnen neu, und niemand wusste so recht, worauf Richard Kohler hinauswollte, bis er plötzlich den Roten Tod erwähnte.
»Als Gefolterter und Blutender vorließ er die Stadt, aber er war zu einem anderen geworden. Längst hatte sich die Legende vom Roten Tod herumgesprochen. Einer erzählte sie dem anderen. Sie wurde aufgeschrieben, und noch heute berichtet man davon. Man sorgt damit für eine große Angst bei kleinen Kindern und ist sehr froh, dass es sich dabei nur um eine Legende handelt, die angeblich nicht wahr ist. Eine Legende kann nicht leben, aber sie lebt doch, denn ich bin hier. Ich bin die Legende. Ich bin der Rote Tod. Ich habe mich dem Teufel verschrieben. Ich bin derjenige, der Alexis Kroland rächen wird und es bereits getan hat. Ich spüre seinen Geist in mir. Ich kämpfe in seinem Namen, geleitet von den Engeln der Hölle, und ich bin jetzt dabei, den nicht gegebenen Lohn in eine Strafe umzuwandeln. Viele Menschen hat Alexis Kroland damals gerettet, und ebenso viele werde ich dem Teufel zum Geschenk machen. Der Rote Tod ist wieder da. Niemand kann ihn stoppen...«
Richard Kohler ließ seine Worte ausklingen. Er hatte es tatsächlich geschafft, das Entsetzen über die Zuschauer zu schicken, denn sie waren plötzlich totenstill geworden.
Es war eine andere Stille als die, die normalerweise in einem Zuschauerraum herrscht. Nicht gespannt oder auf Spannung aufgebaut, sondern einfach von der Angst und dem Entsetzen gezeichnet, denn jeder wusste, dass in der Stadt Morde passiert waren.
Es ging das Gerücht vom Roten Tod um. Plötzlich mussten die Menschen erkennen, dass aus dem Gerücht eine Wahrheit geworden war, auch wenn es weiterhin unglaublich klang, aber es stimmte Wort für Wort, und genau das spürten die Menschen.
Der Arm eines Mannes in der zweiten Reihe schnellte in die Höhe. »Bist du der verdammte Killer?«
Kohler lachte. »Der Killer? Du magst es so sehen. Ich bin der Rote Tod. Ich hole mir meinen Lohn. Ich bin der Vernichter. Alexis Kroland hat die Menschen nur heilen können, weil er unter dem Schutz eines Großen stand. Auch mich schützt er, und deshalb bin ich frohen Mutes, ihn rächen zu können.«
Ihr werdet bezahlen müssen, ob ihr nun wollt oder nicht, das ist mein
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