Der Rote Tod
hat.«
»Was machen wir?«
»Warte noch...«
»Wir ließen Kohler zu Ende reden. Jemand stellte eine Zwischenfrage, die der Typ auf der Bühne parierte. Die Antwort sorgte dafür, dass keine weiteren Fragen gestellt wurden.
Er ging los.
Sein Ziel war das Bett, auf dem der Kollege saß. Er drehte uns den Recken zu. Das war auch bei den anderen Zuschauern der Fall. Bestimmt ging er davon aus, dass sie so geschockt waren, dass ihm niemand in die Quere kommen konnte.
Wir machten die Ausnahme.
Ich saß am Rand der Reihe. Kurz nickte ich Harry zu, dann erhob ich mich und rutschte in den Gang hinein. Dort richtete ich mich auf. Außen an den Reihen der Zuschauer bewegte ich mich entlang. Links von mir befand sich die bespannte Innenwand des Theaters. Es gab nur wenige Lichtquellen, die stärkste war der Scheinwerfer, der Kohler anstrahlte.
Harry ging hinter mir her. Auch er bewegte sich auf leisen Sohlen. Keiner der übrigen Zuschauer zeigte Interesse an uns. Sie alle waren von dem Geschehen auf der Bühne fasziniert.
Der Rote Tod hatte sich gedreht. Sein neues Ziel war der Mann auf dem Bett.
Er ging sehr langsam auf ihn zu. Er sprach dabei. Jedes Wort wurde auch jetzt bis in den letzten Winkel des Theaters getragen. Vielleicht hielten es viele Zuschauer noch für einen Spaß. Bei mir war das nicht der Fall. Ich prägte mir alles ein, und ich wusste dann, dass Kohler eine Morddrohung ausgestoßen hatte.
Plötzlich blitzte etwas in seiner Hand auf. Ich erkannte es nicht, aber ich ging davon aus, dass es sich um ein Messer handelte. Bisher hatte der Rote Tod seine Opfer erwürgt. Das wollte er ändern. Einen Menschen zu erwürgen nimmt Zeit in Anspruch.
Die hatte er nicht. Die hatten auch wir nicht. Zwei Drittel der Strecke lagen hinter uns. Wir schlichen durch ein wattiges Dunkel, das mir so verdammt dicht vorkam. Es war keine gute Luft hier im Raum, und im Licht des einen Scheinwerfers sah ich die unzähligen Staubkörper funkeln.
Wir mussten auf die Bühne!
Von der Rückseite her war das kein Problem, von der Vorderseite her schon. Wir konnten nicht einfach hochspringen, die Distanz war zu groß, wir hätten klettern müssen, das wäre aufgefallen, und genau das wollten wir nicht. Nur drängte jetzt die Zeit.
Da hatte ich Glück.
Wie bei vielen Theatern gab es auch hier an der Seite eine kleine Treppe, die zur Bühne führte. Oft gab es Stücke, die auch Szenen im Zuschauerraum beinhalteten, da mussten dann die Akteure von der Bühne weg, und so war es auch hier.
Aber wir wollten hinaus.
Die Treppe war kaum zu sehen. Ich hatte wirklich Glück gehabt und stieg dann nach einem letzten Schritt auf die unterste Stufe, während der Rote Tod bereits vor seinem nächsten Opfer stand...
***
Hanna Kohler saß in der Nische und fühlte sich dort wir eingeklemmt. Sie sah sich selbst als eine freiwillige Gefangene an, die jederzeit hätte gehen können, sich aber nicht traute, weil das Geschehene sie in ihren Bann zog.
Von ihrer Nische aus konnte sie den größten Teil der Bühne beobachten, und sie erfuhr auch, was dort ablief.
Zudem hörte sie zu.
Ihr Vater war in seinem Element. Er war der geborene Schauspieler, und auf seinen Monolog war er immer sehr stolz gewesen. Auch jetzt hielt er ihn, doch Hanna merkte schon sehr bald, dass er nicht mehr den Text benutzte, den er sonst zum Besten gab. Er hatte ihn in seinem Sinne verändert.
Das Mädchen hatte sich eigentlich nie so direkt als ein Kind gefühlt. Es war zu lange unter Erwachsenen groß geworden und war deshalb seinem Alter voraus.
Es verging nicht viel Zeit, als Hanna merkte, welcher Inhalt dieser Text hatte. Sie konnte es kaum fassen. In ihrem Kopf öffneten sich die Schubladen des Begreifens, und dann wurde ihr plötzlich klar, wer ihr Vater wirklich war und mit wem er sich verbündet hatte.
Das war der Teufel!
Hanna wurde steif. Ihr schwindelte. Sie schaute auf die Bühne, sie sah jetzt alles wie durch einen Schleier, und sie merkte deutlich, dass ihre Finger zitterten.
Ein Schatten füllte plötzlich ihr Sichtfeld aus. Der Inspizient hatte seinen Platz verlassen. Er beugte sich zu Hanna hinab.
»Hörst du das auch?«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht.«
Hanna schielte hoch in ein zerfurchtes Gesicht, auf dessen Haut der Schweiß glänzte. »Ich kann es auch nicht fassen, Herr Müller. Das ist nicht der normale Text.«
»Genau. Hat er den bei euch im Wagen geübt?«
»Nein, nie.
»Und ist dir klar, was das für ein Text ist? Was dein Vater
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