Der Rubin der Oger
stehen bleibt, verschone ich Euer Leben.«
Felton erinnerte sich, dass sie früher als Kinder ein ähnliches Spiel gespielt hatten. Jeder stellte eine Münze auf, und derjenige, dessen Münze am längsten stehen blieb, durfte der heldenhafte Ritter sein; die anderen mussten sein Gefolge spielen. Felton hatte praktisch seine ganze Jugend als Knappe verbracht. Damals war es egal gewesen, nur ein Spaß, ein Kinderspiel. Momentan jedoch war ihm nicht zum Scherzen zu Mute, und von Haran nahm er an, dass dieser gar nicht wusste, was Spaß war.
Vorsichtig tastete Lord Felton mit einer Hand seine Hosentaschen ab. Einige lose Goldstücke fanden sich immer in seiner Kleidung. Er verteilte sie während des Tages für kleine Gefälligkeiten, die man ihm erwies. Seine Finger glitten zwischen den Stoff und tasteten die Münzen ab. Keine Goldmünze war wie die andere. Ihr Gewicht betrug zwar immer eine halbe Unze, aber Stärke und Durchmesser variierten in den verschiedenen Landesteilen. Außerdem hinterließ die jahrelange Benutzung ihre Spuren im weichen Metall.
Felton glaubte schließlich, die richtige gefunden zu haben. Die Prägung war noch gut zu spüren und der Rand nicht scharfkantig. Er holte die Münze hervor und stellte sie mit Daumen und Mittelfinger aufrecht auf den Tisch. Vorsichtig ließ er sie los. In seinem Kopf hörte er wieder und wieder das Geräusch der taumelnden Münzen auf dem Holztisch, das ihn während seiner Kindheit begleitet hatte. Doch diesmal blieb das Geräusch aus.
»Eine gute Wahl, wenn auch äußerst geschmacklos«, drang Harans Stimme an sein Ohr.
Felton neigte den Kopf langsam und starrte auf den Tisch. Die Münze stand aufrecht auf der Kante und zeigte die Prägung von Turmstein. Auf der einen Seite war die kunstvolle Gravur der Stadt, auf der anderen der Kopf von Lord Sigurt zu erkennen. Der Künstler hatte sich alle Mühe gegeben, das Gesicht mit männlich markanten Zügen zu versehen. Dadurch sah Tribert von Sigurt schon jetzt aus wie sein eigener Vater.
Haran ließ von Lord Felton ab. Mit zwei schnellen Schritten trat er hinter seinem Rücken hervor und postierte sich vor dem Schreibtisch.
»Wie es scheint, sind euch die Götter wohl gesonnen. Somit sehe ich auch keinen Grund, Euch meine Dienste zu verweigern – wenn Ihr zahlen könnt«, sagte Haran mit einer übertrieben dienstbeflissenen Geste.
»Was soll der Unsinn«, fragte Felton, um von seiner heiklen Situation abzulenken. »Warum habt Ihr Turmstein verlassen? Meine Anweisungen waren doch klar und eindeutig.«
Haran trat verblüfft einen Schritt zurück.
»Euch dürfte nicht entgangen sein, dass der König tot ist. Durch die neue Situation ließ es sich nicht vermeiden, ein klärendes Gespräch zu führen.«
»Und was wollt Ihr klären?«, fragte Felton ärgerlich.
»Tut nicht so, als ob ich der erste Lakai wäre, der für ein besseres Verhältnis zum Thronfolger geopfert werden sollte.«
»Noch ist Tribert nicht König!«, schrie Felton und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Noch nicht«, wiederholte Haran.
»Eure Aufgabe ist jetzt wichtiger denn je. Ihr müsst alles beobachten, was um Lord Sigurt herum passiert. Jede Kleinigkeit. Wenn er die Führung Nelbors übernimmt, müssen wir sicherstellen, dass er hinter den Lords des Landes steht. Sobald er sich gegen uns stellt oder uns als Bauernopfer für die feindlichen Übergriffe in Betracht zieht, müssen wir handeln.«
Haran legte die Hand auf den Griff seines überlangen Stiletts.
»Ihr meint, ich sollte handeln«, stellte er nüchtern fest. »Wie weit geht meine Vollmacht?«
»So weit, wie es nötig ist, um Osberg und seine Ländereien zu schützen.«
Haran grinste.
»Ein Eingreifen in die Thronfolge wird Euch nicht nur ein paar Goldmünzen kosten. Das ist Euch doch klar?«
Lord Feltons Miene verfinsterte sich, doch er nickte.
»Seid vorsichtig, wenn Ihr nach Turmstein zurückkehrt. Dort wird man die Augen nach Spionen und Verrätern offen halten und jeden hinrichten, der auch nur den Anschein erweckt, zu einer dieser beiden Gruppierungen zu gehören.«
Haran verließ den Arbeitsraum durch die Tür zum Foyer.
»Keine Angst, Eure Lordschaft! Ich werde mich unter die Händler aus dem Norden mischen oder mich vielleicht einer Truppe Huren anschließen, die ihr Glück beim neuen König versuchen.«
Felton wusste, dass nichts davon stimmte, aber er wollte auch nicht in Harans wahre Pläne eingeweiht werden.
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Gäste
Das Leben in Osberg hatte sich
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