Der Rubin der Oger
Zusammenleben der einzelnen Herrscher der verschiedenen Regionen Nelbors war nur der starken Hand des Königs zu verdanken gewesen. Jetzt, wo Nelbor ohne Führung war, würde ein gemeinsames Vorgehen der verschiedenen Armeen nicht nur schwierig, sondern nahezu unmöglich sein. Alle Lords, deren Länder nicht akut vom Feind bedrängt wurden, würden ihr Heer nicht außer Landes schicken, um ihre eigenen Grenzen bei Gefahr schützen zu können. Obendrein wollte sich jeder für das Ränkespiel gewappnet halten, das beim Streit um die Herrschaft über Nelbor nicht ausbleiben würde.
Sollte der König sterben und keinen Nachfolger hinterlassen, fiel das Land an denjenigen, der das größte Heer stellen konnte. So wollte es das Gesetz. Zum jetzigen Zeitpunkt war dies unweigerlich Tribert von Sigurt, der nach dem Tod seines Vaters vor einigen Jahren in den Stand eines Lords erhoben worden war. Die Hälfte seiner Steuereinnahmen benutzte er dafür, sein Heer stetig weiter aufzubauen. Den Unmut der Bevölkerung über Hunger und Armut versuchte er mit billiger Unterhaltung auf ein Minimum zu beschränken. Der Bau einer eigenen Arena, in der sich verurteilte Verbrecher ihre Freiheit erkämpfen konnten, trug einiges dazu bei. Diejenigen, die dennoch ihre Stimme gegen Lord Sigurt erhoben, fanden sich schnell in der Mitte des Kampfplatzes wieder.
Lord Felton konnte unterdessen nur mit ansehen, wie sein Land Stadt um Stadt vom Feind eingenommen wurde.
Seine Gedanken wurden vom Flackern der Kerze auf dem Tisch abgelenkt. Tänzelnd sprang sie umher und drohte beinahe zu erlöschen, doch einen Moment später hatte sie sich wieder gefangen und brannte unbeirrt weiter.
Lord Felton schaute sich in seinem Arbeitszimmer um, konnte den Ursprung des Luftzugs aber nicht ausmachen. Alle Fenster waren geschlossen, genauso wie die Tür. Seine Dienerschaft war sicherlich schon nach Hause gegangen, und auch keiner seiner Berater würde sich so spät nachts ohne Vorankündigung im Palast sehen lassen.
Felton wirbelte herum. Sein Blick fiel auf die Geheimtür. Sie war verschlossen, und nichts deutete darauf hin, dass jemand sie benutzt hatte. Als er sich wieder seinen Papieren zuwandte und den Arm ausstreckte, um nach seinem halb leeren Kelch Rotwein zu greifen, spürte er den kleinen eiskalten Punkt an seinem Hals. Das Gefühl selbst war ihm nicht unbekannt, doch er war es gewohnt, die Klinge des Messers in den eigenen Händen zu halten, wenn er sich rasierte. Der unangenehme Druck gegen seinen Kehlkopf sagte ihm, dass es in seiner jetzigen Situation nicht um Bartpflege ging. Er spürte, wie die Dolchspitze seine Haut beim Schlucken ritzte und ein Rinnsal Blut an seinem Hals herunterlief.
»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?«, fragte er seinen unsichtbaren Angreifer, ohne dabei den Kopf zu drehen.
»Es ist nicht das erste Mal, dass Ihr mich für den Dienst, Euch aus einer prekären Situation zu retten, nach einer Entlohnung fragt. Aber es ist das erste Mal, dass es mich keine wirkliche Anstrengung kostet.«
Lord Felton erkannte die Stimme. Es war Haran, oder wenigstens jener Mann, den er seit Jahren als Haran kannte. Die Aufträge, die Lord Felton ihm erteilt hatte, waren meist am Rande der Legalität oder ein Stückchen darüber hinaus gewesen. Doch Haran kannte die Gefahr, und er kannte auch seinen Wert. Haran konnte so gut wie alles möglich machen, wenn man ihn dafür entsprechend entlohnte. Entsprechend dreist waren seine Forderungen.
»Was wollt Ihr, Haran?«, wiederholte Lord Felton mit leicht zittriger Stimme.
Haran hatte sich ihm immer noch nicht gezeigt. »Wie immer kommt Ihr gleich zur Sache«, lachte er leise. »Da es für mich einfach wäre, Euch mit einem gezielten Streich zu Euren Ahnen zu befördern, versteht Ihr sicherlich, dass ich Euer Leben nicht umsonst verschonen kann.«
Lord Felton begann zu schwitzen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und die Innenflächen seiner Hände wurden feucht. Er wusste genau, dass jemand wie Haran keinen Moment zögern würde, ihn zu ermorden, wenn es ihm einen Vorteil verschaffte.
»Sagt mir Euren Preis. Ich werde tun, was möglich ist.«
»Es geht nicht um den Preis für mein Handeln, es geht darum, wie viel Euer Leben Euch wert ist. Da Ihr mir aber ohnehin alles versprechen würdet, nenne ich Euch den Preis. Es ist genau eine Goldmünze. Zum Beweis, dass die Götter Euch noch wohlwollend gegenüberstehen, möchte ich, dass Ihr sie auf die Kante stellt. Wenn sie
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