Der Rubin der Oger
unmöglich zu sagen, woran der Bärtige gestorben war.
Der Leichnam steckte bis zur Hüfte im Sand – wie eine Boje im Wasser. Der Bart und die langen Zöpfe waren verkrustet und verliehen dem Toten das Aussehen einer Statue. Kruzmak wunderte sich noch über die steife Rüstungsplatte auf seiner Brust, die vom Halsansatz bis zum Becken reichte, als er feststellte, dass der Kopf des Zwerges um neunzig Grad verdreht war. Der Oger machte sich nicht die Mühe, die Leiche freizuschaufeln. Ein toter Zwerg als Wegweiser war immer noch besser, als im Nirgendwo begraben zu werden.
Einen Tag würde es noch dauern, bis Kruzmak den Drachenhorst erreicht hatte. Dann würde er sehen, wie die Heimat der Oger die Flutwelle überstanden hatte, und er würde wissen, ob die Ogerin, mit der er in den letzten Wochen zusammen gewesen war, ein Kind von ihm bekam. Er war schon lange alt genug, Nachwuchs zu zeugen, doch die Streifzüge mit Rator hatten ihn immer davon abgehalten. Erst als ihr Volk in der Roten Wüste sesshaft geworden war, hatte er sich mit dem Gedanken angefreundet. Bralba war sicherlich keine der begehrtesten Frauen im Drachenhorst, doch sie besaß die Eigenschaften, die man haben musste, um einen jungen Oger ohne fremde Hilfe in den Bergen aufzuziehen. Bralba konnte mit ihren Reserven ein Kind auch in harten Wintern ernähren, und sie war kräftig genug, um sich gegen ihre Feinde zur Wehr zu setzen. Sie war sogar geübt im Umgang mit schweren Kriegswaffen. Ein junger Oger würde alles Erforderliche von ihr lernen, damit er sich später in der Welt zu behaupten wusste.
Wie so häufig in letzter Zeit begann es aus heiterem Himmel zu regnen. Wieder einmal war keine einzige Wolke zu sehen. Kruzmak hatte sich bereits an dieses Phänomen gewöhnt und schöpfte neue Kraft aus der Erfrischung. Er spürte, wie die Salzkruste von seiner Haut gespült und das brüchige Leder an seinem Körper etwas geschmeidiger wurde.
Weit voraus glaubte er das typische Wüstenflimmern zu erkennen, dass er tagein, tagaus gesehen hatte, als er mit den Karawanen zum Pass und wieder zurück gereist war. Doch dieses Mal spiegelte sich nicht das Abbild der Wüste in der heißen Luft. Der silberne Streifen trennte zwei unterschiedliche Landschaften. Erst als er näher kam, erkannte er, dass es sich nicht um einen silbernen, sondern um einen roten Streifen handelte, und dass er nicht aus Luft, sondern aus Wasser bestand. Mitten durch die Wüste hatte sich ein Fluss mit mehr als zweihundert Schritt Breite und roter Färbung seinen Weg gebahnt. Es sah aus, als blute die Erde.
Am jenseitigen Ufer ragte der umgestürzte Karren eines Marmortransports der Oger aus dem Schlamm. Der immer noch festgezurrte Steinblock hatte den Wagen mit seinem Gewicht bis zur Hälfte in der feuchten Erde versinken lassen. Vor ihm lag der Kadaver eines Maultiers im Wasser, von dem nur noch die Hinterläufe zu sehen waren.
Kruzmak war kein guter Schwimmer. Um es genau zu sagen: Er konnte überhaupt nicht schwimmen. Unbeholfenes Rudern mit Armen und Beinen hatte bislang immer ausgereicht, um ihn wieder an Land zu bringen. Die wenigen Flüsse, die es in Nelbor gab, konnte man entweder umgehen, an seichten Stellen durchwaten oder an einen Baumstamm geklammert überqueren. Leider bot sich ihm hier keine dieser Möglichkeiten.
Der Fluss schlängelte sich vom Meer bis zum Horizont. Die rote Trübung verhinderte, dass er auf den Grund blicken konnte, und etwas, das ihn tragen würde, hatte er schon seit Stunden nicht mehr gesehen. Es half nichts – er musste darauf bauen, dass er von keinem Oger wusste, der in einer Wüste ertrunken war. Er löste den Beutel mit Proviant vom Gürtel und trank das letzte Wasser. Alles, was er nicht brauchte oder das keinen Wert besaß, ließ er am Ufer zurück. Missmutig wog er das Gewicht seiner Streitaxt ab. Sie hatte zahlreichen Gegnern das Leben gekostet. Für die gequälten Seelen wäre es gewiss eine Genugtuung, wenn das einst so gefürchtete Gewicht dieser Waffe ihren Träger in den Tod reißen würde. Dennoch, den Rest des Weges ohne Waffe zu beschreiten, konnte ebenfalls den Tod bedeuten. Kruzmaks Blick wanderte über das Wasser bis zum gegenüberliegenden Ufer.
»Gnunt würde schaffen«, murmelte er.
Kruzmak trat einige Schritte vom Ufer zurück. Seine langen Arme erlaubten es ihm, die Streitaxt weit hinter den Rücken zu führen. Mit Anlauf stürmte er auf die Böschung und schleuderte die Waffe beidhändig in die Luft. Dann schloss
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