Der Rubin der Oger
Das kleine Kunststück wirkt wie ein Seelenspiegel. Öffnet man es, saugt es die Seele des Öffnenden in sich auf. Mit ein wenig Talent gelang es mir, meine Seele vom Körper zu trennen und damit in Sigurts Leib zu fahren.«
»Ihr seid Libriandus«, stellte Cindiel verblüfft fest.
»So ist es, meine Liebe. Dürfte ich jetzt um die kleine Phiole bitten? Ich bin es langsam leid, in diesem Körper zu stecken.«
»Was habt Ihr vor?«, fragte Cindiel.
»Mit Eurer Unwissenheit verblüfft Ihr mich immer wieder aufs Neue. Ich werde Sigurts Seele wieder befreien. Sie wird die meine aus diesem Körper vertreiben, und ich kann in meinen eigenen zurückkehren. Danach wird sich Haran Sigurts annehmen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Cindiel zog die kleine Phiole aus der Tasche und hielt sie Libriandus hin. Unerwartet griff der Oger danach und nahm sie an sich.
»Was soll das?«, krächzte der Zauberer.
»Haran wird Sigurt töten, und Ihr schiebt die Schuld den Ogern zu«, stellte Mogda fest.
»So war es geplant.«
»Euer Plan wird nicht aufgehen. Übergebt die Elfen und geleitet uns aus der Stadt, dann könnt Ihr die Phiole haben.«
Libriandus wirkte enttäuscht, wenn auch nicht überrascht.
»Wartet hier, bis es dunkel wird. Dann kehren wir zurück.«
43
Das Zusammentreffen
Es war Nacht geworden, und wie fast immer in den letzten Wochen regnete es ununterbrochen. Mogda hockte in dem niedrigen Tunnel und schaute in die dunkle Arena. So menschenleer wirkte sie geradezu friedlich. Doch wer schon einmal in ihr gestanden hatte, konnte nur schwer vergessen, welchem Zweck sie eigentlich diente. Mogda musste daran denken, wie viele seiner Vorfahren in einer ähnlichen Kampfstätte ihr Leben gelassen hatten.
Der Oger hätte zufrieden sein können. Sie waren ihrem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen, doch irgendetwas in ihm war dennoch unruhig. Es lag nicht an ihm oder an den Aufgaben, die noch vor ihnen lagen, es waren die Menschen. Wieder einmal lag es in der Hand der Oger, die Völker Nelbors vor den dunklen Mächten zu schützen. Es machte ihm nichts aus, sich dem Kampf zu stellen, aber es störte ihn, für wen er das alles tun sollte. Die Menschen hatten nichts anderes im Sinn, als sich mehr und mehr Macht anzueignen. Selbst in dem drohenden Krieg suchten sie noch ihren Vorteil. Niemals würden sie sein Volk gleichberechtigt an ihrer Seite dulden. Für sie waren die Oger nur bessere Sklaven.
Mogda hielt die kleine Phiole zwischen den Fingern und hob sie gegen das fahle Mondlicht. Gebannt versuchte er, in ihrem Inneren etwas zu entdecken, doch sie schien wirklich leer zu sein.
»Du kämpfen wie Kriegsoger.«
Mogda ließ das Glasfläschchen in seine Hand fallen und umschloss sie mit der Faust. Hinter ihm standen Rator und Cindiel. Die junge Hexe wirkte erschöpft.
»Ich hatte ja auch einen guten Lehrmeister«, entgegnete Mogda. »Trotzdem hatte ich gehofft, auf einen anderen Feind zu treffen.«
»Ich wissen, du lieber kämpfen mit Frucht gegen Goblins.«
Mogda lächelte Cindiel zu. Anscheinend hatten sie und Rator genügend Zeit gefunden, sich auszutauschen; selbst über die Dinge, die nur für ihre Ohren bestimmt gewesen waren.
»Es waren Riesenkürbisse,«, stellte Mogda richtig.
»Oh, Rator gehört, waren Goblins«, sagte Rator etwas enttäuscht.
»Ihr seid doch nicht gekommen, um mit mir über meine letzten Heldentaten zu reden, oder?«
»Nein, Zwerge haben Schleifrad gefunden, wollen Runenschwert schärfen«, erklärte Rator.
Mogda zog die Klinge aus der Scheide und fuhr mit dem Finger über die Schneide.
»Ein hartes Stück Arbeit.«
»Sie gute Waffenmacher. Sie werden können. Sie nur wollen helfen.«
Mogda übergab Rator das Schwert. Der Kriegsoger wog die Waffe in der Hand. Missbilligend schüttelte er den Kopf.
»Vielleicht doch besser kämpfen mit Frucht«, sagte er, drehte sich um und verschwand im Tunnel. Zurück blieben Mogda und Cindiel, die eine Weile schweigend das Mondlicht betrachteten.
»Wie geht es Finnegan und Barrasch?«, erkundigte sich Mogda.
»Du hast sie gesehen. Sie werden bald wieder auf den Beinen sein.«
Der Oger nickte geistesabwesend.
»Na ja«, fügte Cindiel hinzu, »sie werden vielleicht nicht ganz die Alten sein. Es sieht so aus, als ob Barrasch den Arm verliert und vielleicht auch das linke Bein. Ich habe ihm sicherheitshalber schon mal den Hals abgebunden, damit er sich daran gewöhnt. Und Finnegan – ich weiß nicht genau, er ist ganz steif und bleich,
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