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Der Rubin der Oger

Der Rubin der Oger

Titel: Der Rubin der Oger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbuelt
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zukünftigen Königs erreicht und stellte sich zurückhaltend, wie es sich für einen Dienstboten gehörte, zwischen Libriandus und Sigurt. Der Lord war wie die meisten anderen zu abgelenkt, um auf Cindiels Offerte zu reagieren.
    »Möchtet Ihr auch?«, erhob Libriandus die Stimme. »Sie werden den fetten Oger schon wieder herausscheuchen, Eure Majestät.«
    Erst die ungewohnte Anrede ließ Sigurt seinen Blick vom Zugang zur Arena abwenden.
    »Ihr habt wie immer Recht, Libriandus. Sie werden ihn wohl kaum übersehen können. Wahrscheinlich steckt er mit seinem dicken Hinterteil in einem der Tunnel fest und ruft um Hilfe«, sprach er sich selbst Mut zu.
    Cindiel war in Gedanken alles genau durchgegangen. Ein untertäniges Nicken mit geschlossenen Augen, die Andeutung eines Knicks und dann zuerst Lord Sigurt den Wein anbieten. Während ich den Becher des Hofmagiers fülle, vorsichtig nach der Phiole in der Tasche greifen. Zum Schluss ein tiefer demütiger Knicks zwischen den beiden, mit einer leichten Drehung nach links und dann nach rechts. Genau in diesem Augenblick würde sie die Phiole unter dem Thron des Königs deponieren.
    Cindiel war noch in Gedanken, als die Stimme von Lord Sigurt »Verrat!« krächzte.
    Etwas Hartes schlug Cindiel unter das Kinn, und jemand packte ihr Handgelenk.
    »Ich habe es gewusst!«, schrie Sigurt. »Sie würden es erneut probieren, noch bevor die Krone auf meinem Haupt ruht.«
    Er hatte den Attentatsversuch durchschaut. Cindiels Gesicht war ganz taub von dem Schlag mit der Lederknute, und Sigurts Worte drangen nur dumpf zu ihr durch. Er hatte ihre Hand gepackt, in der sie die Phiole hielt, und bestaunte das gläserne Schmuckstück.
    »Du siehst zu gut aus, Kindchen, um in der Wäscherei zu arbeiten. Du könntest mehr Geld nachts in den Straßen verdienen.«
    Schmerzhaft verdrehte er ihre Hand.
    »Was ist das, Gift?«
    Entweder bemerkten die übrigen Gäste die Situation nicht, oder sie wollten sie nicht bemerken. Hauptmann Losan stand etwas abseits und brüllte seinen Soldaten Befehle zu. Selbst Libriandus schien nichts mitzubekommen, und es hatte den Anschein, als gönne er sich inmitten des Trubels gerade ein Nickerchen.
    Lord Sigurt war so außer sich vor Freude, den Anschlag persönlich vereitelt zu haben, dass er es unterließ, die Wachen zu rufen. Offenbar wollte er seinen Triumph voll und ganz für sich alleine auskosten. Er riss Cindiels Arm hoch, zog sie zu sich heran und verdrehte ihre Hand weiter, bis die Phiole zwischen ihnen auf der Höhe ihres Kinns war. Dann drehte er die Öffnung in ihre Richtung.
    »Lass uns sehen, was du mir mitgebracht hast«, flüsterte er ihr zu.
    Mit der anderen Hand griff er nach dem Verschluss und öffnete ihn.
    Für einen Moment war es, als halte nicht er Cindiel fest, sondern umgekehrt. Sein Griff lockerte sich für einen Augenblick, und seine Beine drohten wegzusacken. Cindiel sah, wie seine Pupillen jeglichen Glanz verloren und sich grau färbten. Noch bevor sie begriff, was vor sich ging, war der Spuk vorüber. Lord Sigurt tauchte aus dem lethargischen Zustand auf wie ein Ertrinkender aus dem Wasser. Seine Pupillen waren geweitet, und die Augen tränten. Orientierungslos versuchte er, Halt zu finden. Sein Körper war verkrampft, und sein Atem ging stoßweise.
    Obwohl sie allen Grund gehabt hätte, Sigurt fallen zu lassen und ihr Heil in der Flucht zu suchen, stützte Cindiel den Lord weiter. Noch immer hielt er ihre Hand mit der Phiole umschlossen.
    »Danke, meine Liebe«, flüsterte er. »Es wird besser sein, wir verschließen sie jetzt wieder.«
    Cindiel hielt ihm die Phiole hin, und er setzte den Stöpsel darauf. Schnell ließ sie den Flakon in ihrer Tasche verschwinden. An Sigurts Blick erkannte sie, dass es ihm missfiel, doch er war noch nicht in der Verfassung, etwas dagegen zu unternehmen.
    Cindiel hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt, und auch jetzt, als sich die Gelegenheit dazu bot, blieb sie stumm. Es gab nichts richtig zu stellen, es gab keine Entschuldigung, die Situation war eindeutig, und auf Unterstützung ihres Auftraggebers konnte sie nicht hoffen. Libriandus hatte entweder den festesten Schlaf der Welt, oder er war tot. Und die Möglichkeit, dass Haran plötzlich auftauchte und alle Schuld auf sich nahm, war ohnehin nur ein Wunschtraum.
    Cindiel stand vor Sigurt wie eine ungehorsame Schülerin, die auf die Strafe ihres Meisters wartete. Auch wenn die Phiole jetzt leer und das Gift nicht ausreichend war, hatte Sigurt die

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