Der Rubin der Oger
direkt an die Stadt grenzte.
»Ihr müsst euch ruhig verhalten. Die Menschen in Turmstein sind Oger nicht gewohnt«, ermahnte der Soldat die vier.
»Wir Oger sind immer ruhig«, sagte Mogda. »Es sind normalerweise die anderen, die panisch werden, wenn sie uns sehen.«
Der Soldat rang sich ein verkniffenes Lächeln ab und ging voraus. Mogdas Hoffnung erfüllte sich, die Straßen Turmsteins waren fast menschenleer. Die meisten Bewohner hatten sich wegen des anhaltenden Regens in ihre Wohnungen zurückgezogen und versuchten, ihre wenigen Habseligkeiten zu schützen, falls es doch zu einer Erstürmung der Stadt kommen sollte. Viele der kleineren, ungepflasterten Gassen waren kaum passierbar, weil der Regen den Untergrund vollkommen aufgeweicht hatte.
Mogda sah eine Gruppe Bettler, die im Kellereingang einer Kneipe Schutz gesucht hatten und neugierig die Hälse reckten. Eine ältere Frau mit einem Kind auf dem Arm kehrte auf halber Strecke um, als sie die Oger sah, und suchte Schutz in einem der Häuser. Fensterläden wurden zugezogen, doch nur so weit, dass man noch einen Blick hindurchwerfen konnte.
Die Soldaten führten sie von den dicht besiedelten Gebieten weg in eine Straße mit Lagerhäusern. Viele dieser Lager wurden von einem oder zwei Soldaten bewacht, welche die Oger mit Misstrauen beobachteten. Der überraschende Sinneswandel des neuen Königs hatte jedoch zur Folge, dass die seltsamen Wanderer ungehindert weiterziehen konnten. Mogda tastete nach der kleinen Phiole in seiner Tasche und schwor sich erneut, sie erst herauszurücken, wenn die Stadt außer Sichtweite war.
Der junge Soldat deutet auf einen breiten Treppenaufgang nahe der Stadtmauer. Die Stufen führten in drei Etappen bis hoch zum Wehrgang. Auf den beiden Treppenabsätzen waren Lastgalgen aufgebaut, die helfen sollten, schwere Ausrüstung hinaufzuschaffen. Am Fuß des Aufgangs standen große, mit Felsbrocken gefüllte Körbe. Die Soldaten boten sich an, vorauszugehen und den Wachhabenden zu informieren, doch Rator war bereits an ihnen vorbei und hatte den ersten Absatz erreicht, als ihm drei Wachen entgegentraten.
»Das Betreten der Stadtmauer ist nur den Truppen Turmsteins erlaubt«, erklärte der wachhabende Offizier dem Oger. Der Leutnant und seine beiden Untergebenen wichen nicht zurück. Rator näherte sich den dreien so weit, dass die Spitzen ihrer Hellebarden seine Brust berührten. Die Männer schienen sich durch das rüde Auftreten des Ogers nicht so einschüchtern zu lassen wie die übrigen Soldaten.
»Lord Sigurt hat uns uneingeschränkten Zugang zum Wehrgang zugesichert«, versuchte Mogda zu vermitteln.
»Mir wurde nichts dergleichen gemeldet. Ich habe meine Befehle.«
Während Mogda noch überlegte, wie er den Leutnant umstimmen konnte, hatte Rator bereits die Lanzen gepackt und drängte die Soldaten zurück. Der Wachhabende zog sein Schwert.
»Rator schon oft auf Stadtmauer. Du denken, können aufhalten?«
Die Worte des mächtigen Ogers wirkten. Hilfe suchend blickte der Leutnant zu den Stadtwachen, die hinter Mogda, Gnunt und Wulbart auf den untersten Stufen der Treppe standen. Das zögerliche Kopfschütteln seiner Kameraden ließ ihn sein Schwert wieder in die Scheide stecken und den Weg freigeben.
Rator ließ die Soldaten stehen und erklomm den Wehrgang. Sein Blick schweifte über die Ebene vor Turmstein, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Mogda und die anderen erreichten den Wehrgang, als Rator gerade eine lange Stange aus ihrer Halterung an der Innenmauer nahm. Wie einen Speer schleuderte er das Holz weit in die Ebene. Mogda verfolgte den Flug des Wurfgeschosses. Der Mann mit dem dunklen Umhang und den langen Haaren, dem der Angriff galt, war durch den starken Regen kaum zu erkennen. Er stand fast dreihundert Schritt von der Stadtmauer entfernt und hatte die Arme gen Himmel gereckt. Mogda hätte sich nicht zugetraut, den Mann eindeutig zu identifizieren, doch Rator war sich sicher.
»Mann ohne Schuhe«, brummte er.
Gebremst durch Regen und Wind verlor die hölzerne Stange schnell an Höhe und bohrte sich auf halber Strecke zwischen Stadtmauer und dem Wanderer tief in den Boden.
Rator brach in schallendes Gelächter aus. Es war ein Lachen, das einem Mut und Angst zugleich machen konnte. Besorgt schaute Mogda seinen Freund an.
»Warum lachst du?«, fragte er.
»Er nicht unsterblich.«
»Woher willst du das wissen? Du hast ihn nicht getroffen.«
Wulbart drängte sich zwischen die beiden und spuckte
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