Der Rubin der Oger
spannen. Jedes Mal, wenn Mogda den Wagen endlich hinter das Pferd gebracht hatte, drehte das dumme Vieh sein Hinterteil weg. Er hatte schon versucht, das Tier in den Schwitzkasten zu nehmen, aber dann reichte seine Armlänge nicht mehr aus, um den Karren zu greifen. Schlussendlich hatte er es auf den Boden geworfen, sich auf seinen Hals gesetzt und den Wagen mit der Trense um den Bauch des Pferdes geknotet.
Mogda wollte das andere, tote Pferd zusammen mit Usil auf den Karren legen, doch er merkte schon beim ersten Versuch, dass die Achse des alten Vehikels dem Gewicht nicht standhalten würde. Es half nichts, er musste es zurücklassen. Alle anderen Möglichkeiten, wie das Hinterherschleifen oder Zerstückeln, hätten gewiss einen falschen Eindruck bei der Bevölkerung von Osberg hinterlassen.
Mogda lenkte das Pferd von einer Position hinter dem Karren aus, mehr mit Kraft als mit Geschick, aber es war besser für das Pferd, wenn der Oger aus dessen Sichtbereich blieb. Nach einer halben Meile drehte Mogda sich noch einmal um. Von den aufgebrachten Menschen war nichts mehr zu sehen. Nur der tote Gaul lag noch da.
Mogda fühlte sich ausgesprochen gut, jetzt die Zügel in der Hand zu haben statt des Jochs um seinen Hals. In zwei Tagen würden sie Osberg erreicht haben.
Usils Zustand verschlechterte sich abermals. Zusätzlich zu seinem Fieber kamen jetzt noch starker Husten und Erbrechen hinzu. Der alte Mann war zu geschwächt, um noch Nahrung aufzunehmen, nur etwas Wasser träufelte Mogda ihm von Zeit zu Zeit in den Rachen.
Mogda gönnte sich und dem Pferd keine einzige Pause mehr, und als er die Stadtmauern von Osberg erkennen konnte, erhöhte er sein Tempo nochmals. Das Pferd wurde mittlerweile mehr von dem Karren geschoben.
Völlig erschöpft erreichte Mogda schließlich das Osttor, unter den erstaunten Blicken der zwei Stadtwachen, die davor postiert waren.
»Halt! Wohin willst du?«, wurde er von ihnen begrüßt.
Mogda stützte sich auf dem Wagen ab, welcher durch Knarren seinen Unmut äußerte. Dann holte er zweimal tief Luft, bevor er antwortete.
»Ich muss zu einem Heiler, der alte Mann hier ist schwer krank.«
Die beiden Stadtwachen warfen einen wenig beeindruckten Blick auf die Ladefläche.
»Ich weiß nicht, ob es so gut wäre, wenn du frei in der Stadt umherläufst«, erklärte einer von ihnen.
»Wir sind den Umgang mit euch nicht gewohnt, die Leute könnten Angst vor euch haben«, fügte der andere hinzu, in dem vergeblichen Versuch, beschwichtigend zu wirken.
Mogda hatte nicht die Zeit und nicht die Muße, sich den beiden lang und breit vorzustellen, während sein Freund im Sterben lag.
»Es ist auch besser, wenn die Leute Angst vor mir haben«, brüllte er stattdessen. »Denn wenn ich nicht gleich durch dieses Tor gelassen werde, wird man eure Abdrücke in dem Holz noch lange bestaunen können.«
Das Gebrüll weckte die Lebensgeister des Pferdes wieder, und die beiden Wachen konnten gar nicht anders, als das Tor zu öffnen, wenn sie nicht zwischen das Gespann und das Tor geraten wollten. Laut protestierend, aber unwillig, ihr Leben zu riskieren, sprangen die wackeren Wachen zur Seite.
Mogda hetzte durch die Straßen und Gassen von Osberg und kümmerte sich nicht weiter um die neugierigen, ängstlichen und erbosten Blicke, die er dabei erntete. Mütter umklammerten ihre Kinder, um zu verhindern, dass sie in die Nähe des Riesen kamen. Alte Leute, die die Oger noch aus den Trollkriegen kannten, flüchteten schnell in ihre Häuser.
Schließlich konnte Mogda den Turm der Kirche sehen und nahm eine Abkürzung über den Marktplatz, auf dem verschiedene Händler ihre Waren feilboten. Mit entschlossenem Blick preschte er zwischen den Ständen hindurch.
Ohne dass jemand zu Schaden gekommen war, erreichte Mogda die Stufen des Tempels. Er ließ den Wagen los und hob Usil behutsam von der Ladefläche. Er blickte zum Portal des Tempels hinauf, und in ihm erwachte eine fast vergessene Erinnerung. Dieser Platz, diese Kirche waren die Orte, an dem die Bündnisse zwischen Menschen und Ogern vor Jahren geschmiedet worden waren. Hier hatten die Feierlichkeiten stattgefunden, bei denen bekannt gegeben worden war, dass von nun an die beiden Rassen in Frieden miteinander leben wollten.
Mogda schaute über die Steinplatten, welche die Grenzen des Marktplatzes absteckten, aber er suchte einen bestimmten Stein. Er brauchte nicht lange, denn die rote Färbung stach hervor. Zwei Schritt neben dem Karren hatte man
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