Der Rubin der Oger
den Stein in die Erde gelassen. Mogda wischte mit dem Fuß Staub und Unrat beiseite. Es war der erste Marmorblock, der den Drachenhorst verlassen hatte, und es war der einzige, für den die Oger keine Gegenleistung bekommen hatten. Mogda kannte die Gravur auf ihm nur zu genau. Er hatte sie zusammen mit dem Zwerg Dagolin in den Stein getrieben.
GEDENKSTEIN FÜR EINEN WAHRLICH GROSSEN HELDEN; DEN OGER TARBUR.
Er hatte Tarbur nicht persönlich gekannt, aber seine Geschichte war in aller Munde. Hagrim der Geschichtenerzähler hatte dafür gesorgt.
Schnell kehrten Mogdas Gedanken zurück in die Gegenwart. Mit jedem Schritt nahm er vier Stufen auf dem Weg zum Tempelportal, dann drückte er mit der Schulter die Flügel des Tores auf. Er durchquerte gerade das Hauptschiff, als ein Priester, der aus einer der Unterkünfte kam, ihn barsch anrief.
»Halt! Im Namen der Götter, wie könnt Ihr es wagen, den Tempel des Prios zu betreten? Eine Kreatur Tabals darf diesen heiligen Boden nicht entweihen. Schert Euch hinaus.«
Mogda traute seinen Ohren nicht. Immerhin wollte er eines der Kinder des Prios retten! Durfte er dafür nicht auf Prios Boden gehen?
Es waren aber nicht nur die Worte, die ihn störten, viel mehr reizte ihn der arrogante, zänkische Ton, in dem der Priester sprach. Dennoch, er wusste, dass er in dieser Stadt nur ein Besucher war und sich auch so zu benehmen hatte. Gelassen drehte er sich zu dem Priester um, der auf ihn zustürmte, als ob er ein übergroßes diebisches Nagetier sei, das sich an den Vorräten der Menschen zu schaffen machte.
»Was hast du mit dem alten Mann gemacht?«, fauchte der Priester, der aussah wie jemand, der einen großen Teil seines Tages damit zubrachte, darauf aufzupassen, nur keine Muskeln anzusetzen. Seine dünnen grauen Haare fielen über das Priestergewand, was ihm zusammen mit der hakenförmigen Nase das Aussehen eines Vogels verlieh.
Ruhig bleiben , dachte Mogda.
»Er ist krank, und ich habe ihn aus dem Tannenverlies hierhergebracht, damit Ihr ihm helfen könnt.«
Wenig interessiert blickte der Priester auf Usil, den Mogda auf eine der Bänke gelegt hatte.
»Er ist nicht krank, er wurde vergiftet, wie viele andere auch. Was habt Ihr ihm zu essen gegeben?«
Ruhig bleiben.
»Er hat seit Tagen gar nichts gegessen. Er ist zu schwach.«
Der Priester klappte eines von Usils Augenlidern hoch und schaute ihm in die Pupille. »Ich werde sehen, was ich tun kann, aber versprechen kann ich nichts.«
»Ich habe auch kein Orakel gesucht, sondern einen Heiler«, murmelte Mogda. Sorgenvoll strich er Usil mit zwei Fingern über die Stirn.
»So, nun macht, dass Ihr hier rauskommt, oder wollt Ihr die Götter erzürnen?«, befahl der Priester energisch.
Mogda folgte der Anweisung, doch bevor er den Tempel verließ, drehte er sich noch einmal zu dem Priester um.
»Hüttenbauer, erinnert Ihr Euch an Tarbur?«
»Natürlich, jeder kennt die Geschichte.«
»Passt auf, dass sie nicht ein zweites Mal geschieht.«
Der Priester machte einen verwirrten Eindruck, doch Mogda war sich sicher, dass ihm die Drohung irgendwann aufgehen würde.
Mit einem Knall zog er die Türen ins Schloss und lenkte das Pferd in Richtung seines eigentlichen Ziels. Mogda war gespannt, wie Cindiel auf seinen unerwarteten Besuch reagieren würde. Auch wollte er wissen, wie sie sich in den letzten zwei Jahren verändert hatte. Bei seinem letzten Besuch hatte sie gerade auf der Schwelle vom Mädchen zur jungen Frau gestanden.
9
Viele Fragen
»Werden genund?«, fragte eine Stimme hinter Rator. Er drehte sich genervt um und sah in das Gesicht von Gnunt, der versuchte, eine mitleidige Miene aufzusetzen, die jedoch eher an eine Magenverstimmung erinnerte.
»Hä?«
»Werden genund?«, wiederholte er seine Frage.
»Gesund«, korrigierte Rator und erntete dafür ein hastiges Nicken.
»Ja, werden gesund, aber Auge weg.«
Rator hatte entschieden, die Karren mit den Marmorblöcken zurückzulassen und sich mit den drei Wagenladungen an Vorräten zu begnügen. Ihm war unwohl bei dem Gedanken, wie die Händler die Geschichte auslegen würden. Er dachte, dass es besser sei, ihnen keine Gelegenheit zu geben, den Ogern Böswilligkeit zu unterstellen. Was passiert war, war ohnehin schlimm genug.
Seit ihrem Aufbruch ging er neben dem Wagen her, auf den sie den schwer verletzten Hagmu gelegt hatten. Er hatte das Bewusstsein verloren, als Rator den Bolzen aus seinem Auge ziehen musste. Seitdem war er wie weggetreten.
Es war
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