Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
geschnitzt war und eine Uhr hatte, die alle fünfzehn
Minuten schlug und jede Woche aufgezogen werden mußte. Es war
grotesk, so etwas in einem vorstädtischen Landhaus zu haben, aber
Sally war immer gern oben im Speicher über dem Stall
herumgeklettert und hatte beobachtet, wie der Mechanismus langsam
arbeitete. Und unter der Uhr war eine lose Latte in der Holzwand des
Speichers, die Sally eines Tages gelöst hatte, um darunter ein
perfektes Schatzversteck zu finden. Aber wann konnte sie wohl
hinfahren und nachschauen? Und wie sollte sie ihr Vorhaben den
neuen Mietern erklären?
Sie kam ans Britische Museum und ging langsam die Stufen hinauf.
Tauben pickten zwischen den Säulen herum, drei Mädchen, die etwas
jünger waren als sie selbst, kletterten unter der Obhut einer Erzieherin
die Treppen hinauf und schwatzten fröhlich. Sie selbst hatte an diesem
ruhigen und zivilisierten Platz mit ihren Gedanken an plötzlichen Tod
und an Waffen nichts verloren.
Sie ging wieder in Richtung Burton Street, es war ihr etwas
eingefallen, das sie Trembler fragen wollte.
Sie traf ihn im Laden an, als er gerade eine Schaufensterauslage mit
Porträtrahmen arrangierte. Rosas Lachen war aus der Küche zu hören,
und Trembler erzählte ihr, daß Pfarrer Nicholas gekommen sei.
„Hab doch gewußt, daß ich ihn früher schon mal gesehn hab", sagte
er. „Vor zwei oder drei Jahren war's, in Sleepers Turnhalle, grad als
die Regeln von Marquis von Queensberry aufkamen. Er hat 'ne Wette
mit Bonny Jack Foggon gemacht, der gehört zu der alten Garde, die
ohne Boxhandschuhe kämpft. Sie ham fünfzehn Runden gekämpft, er
mit Handschuhen und Foggon ohne, und er hat gewonnen, obwohl er
ganz schön was abgekriegt hat."
„Der andre hat mit den bloßen Fäusten gekämpft?"
„Ja, und das war sein Verderben. Weißt du, die Handschuhe
schützen deine Hände und das Gesicht vom Gegner, und nach
fünfzehn Runden hat er unheimlich viel härter zugeschlagen als
Foggon, obwohl Bonny Jack doch jahrelang mit seinen Fäusten
rumgeschlegelt hat. Ich kann mich noch an den Schlag erinnern, der
ihm den Rest gegeben hat -- ein hübscher Schlag mit der Rechten, und
das war dann das Ende und der Triumph der Queensberry Regeln. Mr.
Bedwell war natürlich zu der Zeit kein Geistlicher. Wülste was,
Miss?"
„Ja... Trembler, wissen Sie, wo ich eine Waffe herkriegen kann?
Eine Pistole?"
Er blies durch seinen Schnurrbart -- das machte er immer, wenn er
überrascht war.
„Hängt davon ab, was es sein soll", sagte er. „Du meinst wohl 'ne
billige."
„Ja. Ich hab nur ein paar Pfund. Und ich kann wohl kaum selber zu
einem Waffenhändler gehn -- der würd sich wahrscheinlich weigern,
mir eine zu verkaufen. Könnten Sie mir eine kaufen?"
„Du weißt, wie man mit 'ner Pistole umgeht, oder?"
„Ja. Ich hab eine gehabt, aber die ist mir gestohlen worden. Hab ich
Ihnen doch gesagt."
„Ja, das hast du. Mal sehn, was ich da tun kann."
„Wenn Sie's lieber nicht machen möchten, kann ich auch Frederick
bitten. Aber ich hab gedacht, daß Sie vielleicht jemanden kennen..."
„Jemand aus der Halbwelt, meinste wohl."
Sie nickte.
„Möglicherweise. Mal sehn."
Die Tür ging auf, und Adelaide kam mit ein paar frisch gedruckten
stereographischen Aufnahmen herein. Tremblers Gesichtsausdruck
veränderte sich, er lächelte breit, wobei seine Zahnlücken unter dem
Schnurrbart sichtbar wurden.
„Da kommt ja mein Liebling", sagte er. „Wo warst du?"
„Ich war bei Mr. Garland", sagte sie, dann erblickte sie Sally.
„Guten Morgen, Miss", flüsterte sie.
Sally lächelte und gesellte sich zu den anderen.
    Am Mittwochnachmittag, zwei Tage nachdem der Fremde von
Bord gegangen war, erhielt Mrs. Holland einen Besuch von Mr. Selby.
Das kam völlig unerwartet; sie wußte nicht so recht Bescheid über die
Etikette für den höflichen Empfang eines Opfers, das erpreßt wird,
aber sie gab ihr Bestes.
    „Kommen Sie rein, Mr. Selby", sagte sie und zeigte grinsend ihre
gelben Zähne. „Tasse Tee gefällig?"
„Sehr freundlich", murmelte der Herr. „Danke."
Ein paar Minuten tauschten sie Höflichkeiten aus, bis Mrs. Holland
schließlich die Geduld verlor.
„Raus damit. Sie platzen ja vor Neuigkeiten!"
„Sie sind eine kluge Frau, Mrs. Holland. Ich habe in der kurzen Zeit
unserer Bekanntschaft Bewunderung für Sie entwickelt. Sie haben da
was über mich in Erfahrung gebracht -- das will ich gar nicht leugnen "
„Können Sie auch nicht", sagte Mrs. Holland.
„Ja,

Weitere Kostenlose Bücher