Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
Waldboden und starrte düster vor sich hin. Er führte das Vyron-Flugtier am Zügel, das Thut Thul Kanen gefordert hatte. Der schmale, dreieckige Kopf des Tieres streifte immer wieder Tenans Schulter, während es weiße Atemwölkchen ausstieß und hinter ihm her trabte. Es bewegte sich auf zwei sehnigen, geschuppten Beinen vorwärts, die ledrigen Flügel waren unterhalb des Sattels eng an den Leib gefaltet. Vyronen wurden von den Dan-Rittern zumeist eingesetzt, um Erkundungsflüge zu unternehmen, manchmal aber kamen sie auch im Kampf zum Einsatz und dienten den Soldaten als Reittiere. In alter Zeit war manche Schlacht geschlagen worden, in der die Vyronen gegen Xaxis und andere gefährliche Flugtiere des Todesfürsten gekämpft hatten, und es gab Truppen im Heer der Dan, die eigens für den Kampf in den Lüften ausgebildet waren.
Obwohl Tenan noch nie zuvor eines der großen Flugtiere gesehen hatte, schenkte er ihm keine sonderliche Beachtung; viel zu sehr war er mit Eilennas bevorstehendem Schicksal beschäftigt. Konnte wirklich keiner der Ritter von Dan etwas gegen ihre Entführung unternehmen? Mit ihren Zauberkräften musste es doch möglich sein, sie aus den Fängen des Südländers zu befreien und den Meledos-Kristall zu retten! Doch Amberon und Dualar hatten ihm immer wieder zu verstehen gegeben, eine Rettung des Mädchens sei unmöglich, ohne es zu gefährden.
Insgeheim bewunderte Tenan Eilenna für ihren Mut und ihre Opferbereitschaft. Er zweifelte nicht daran, dass sie sich in Shon irgendwie durchschlagen würde. Dennoch sorgte er sich um sie. Thut Thul Kanen war unberechenbar und allzu schnell in seinem Stolz verletzt, Eilenna wiederum würde ihndurch ihr abweisendes Verhalten womöglich herausfordern und seinen Zorn heraufbeschwören. Tenan war sich sicher, dass Thut Thul Kanen mit allen Mitteln versuchen würde, den Widerstand des Mädchens zu brechen.
»Wir sind da«, sagte Amberon unvermittelt und wies auf eine Felswand, die hinter den Ästen der Nadelbäume kaum zu erkennen war. »Der Zeichnung des Südländers nach muss dies hier die richtige Höhle sein.«
Er schob einen Vorhang aus Zweigen und Gestrüpp zur Seite und ging hindurch, gefolgt von Eilenna, Dualar, Tenan und dem Vyron, der widerwillig an den Zügeln zerrte und leise, abgehackte Töne des Missfallens von sich gab. Er weigerte sich, durch den engen Eingang hindurchzugehen.
»Nun komm schon«, knurrte Tenan ungeduldig und zog am Zügel. Das Tier bockte und stemmte sich mit beiden Beinen gegen den Boden, bis Tenan einen magischen Befehl flüsterte, den die Stallknechte im Lager verwendet hatten, um scheuende Pferde gefügig zu machen. Ächzend und stöhnend fügte sich der Vyron endlich und zwängte sich durch die Öffnung.
Drinnen hatten Amberon und Dualar Fackeln entzündet, deren Licht kaum ausreichte, um die Höhle zu erhellen. Tenan staunte. Sie hatte riesige Ausmaße und hätte eine ganze Hundertschaft von Dan-Rittern in sich aufnehmen können. Kein Geräusch war zu hören, bis auf das Schnaufen und Scharren des Vyrons und das leise Glucksen von Wasser, das von der Decke tropfte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs befand sich eine weitere Öffnung, durch die das Mondlicht hereindrang. Sie war groß genug, um einen Vyron mit ausgebreiteten Flügeln hindurchzulassen.
»Was jetzt?« Tenan konnte nirgends eine Spur von ThutThul Kanen entdecken. »Wo steckt der verdammte Südländer?«
»Wir sind nicht allein«, sagte Amberon und legte den Kopf lauschend zur Seite. »Ich spüre die Gegenwart eines weiteren Lebewesens.«
Tenan starrte angestrengt ins Dunkel der hinteren Höhle, aber er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Er warf einen kurzen Blick auf Eilenna, deren Gesicht im Schein der Fackeln weiß leuchtete.
Die Minuten verstrichen. Dann plötzlich trat eine hoch gewachsene Gestalt am anderen Ende der Höhle ins Licht der Flammen.
»Euer Kommen ehrt mich, edle Ritter von Dan«, sagte sie mit tiefer Stimme. »Es ist lange her, dass die Dan dem Ruf eines Mannes aus dem Süden folgten, denn meist verhallen unsere Bitten ungehört – falls sie den Herrscher von Algarad überhaupt jemals erreichen.«
Thut Thul Kanen postierte sich in die Nähe des gegenüberliegenden Ausgangs und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. Selbst in der weiten, zerlumpten Kleidung eines Söldners wirkte er stark und gefährlich. »Mit ganz besonderer Freude aber erfüllt mich das Erscheinen der Rose des Nordens.« Er verneigte
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