Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
befreien ist eine Sache, was aber, wenn die Flotte gegen Caithas Dun in den Krieg ziehen muss?«, wandte er ein. »Die Festung des Todesfürsten ist schier uneinnehmbar, und es wimmelt auf der ganzen Insel von Gredows. Die Anzahl der Ritter ist viel zu gering, sie könnten jede Hilfe brauchen, sogar die des Volks aus den Südlanden!«
»Nein-o-nein«, winselte Urisk, der eine der Wanten erstiegen hatte und darauf herumturnte. »Nicht sehen will man die dunklen Männer! Böse Blicke werfen sie einem zu, dass man Angst hat, gefressen zu werden!«
Tenan lächelte dem Fairin zu. »Du brauchst keine Angst zu haben. Bevor sie dich aufspießen, bekommen sie es mit mir zu tun.« Er deutete auf das Schwert an seiner Seite, und Urisk lächelte ihn erleichtert an.
Der Waldgeist hatte im Lauf der vergangenen Wochen Vertrauen zu Tenan gefasst, er suchte seine Nähe und betrachtete ihn als Herrn und Meister, was Tenan zuweilen etwas unangenehm war. Dennoch hatte er Urisk ins Herz geschlossen; der Fairin war ein Vertriebener aus der gleichen Heimat wie er, vermisste die Wiesen und Wälder Gonduns ähnlich stark und wusste ebenfalls nicht, ob sein Volk den Angriff der Gredows überlebt hatte – all dies schuf eine besondere Verbundenheit zwischen ihnen. Er war zutiefst dankbar, dass Osyn ihm den Waldgeist damals bei seiner Abreise aus Esgalin als Führer mitgegeben hatte; mittlerweile war er weit mehr als das – er war ihm zum Freund geworden.
16
Eine lange Nacht und den folgenden Vormittag harrte Thut Thul Kanen in unbeweglicher Haltung auf die Rückkehr des Diebesjungen. Er hatte die Augen geschlossen, und sein Bewusstsein schwebte in jenem Bereich konzentrierter, absichtsloser Wachheit, die er sich im Lauf einer langen Praxis der Versenkung erarbeitet hatte. Er hatte diese Technik von einem alten Meister aus Odo-Kan gelernt, der vor einiger Zeit die Inseln von Shon besucht hatte. Thut Thul Kanen hatte ihn für seine Gelassenheit und Ruhe bewundert, die den aufbrausenden Menschen aus Shon so fremd war. Er hatte sich von ihm unterrichten lassen und gelernt, den Geist zu beruhigen und inneres Gleichgewicht zu finden. Mittlerweile hatte er es in dieser Kunst so weit gebracht, dass er tagelang ohne Wasser und Nahrung dasitzen konnte, um seiner inneren Stimme zu lauschen, die stets zu ihm sprach, wenn er zuhörte. Diesmal allerdings sprach sie nur von Sehnsucht und Begehren und beschwor quälend das Bild des Piratenmädchens herauf, das er die Blume des Nordens nannte. Sein einziges Bestreben war, sie in seinen Besitz zu bringen. Als Tausch würde er den Dan den magischen Kristall anbieten, den sie allem Anschein nach so dringend benötigten.
Er vernahm das Quietschen der morschen Lagertür, als der Junge die Kontorhalle betrat, und öffnete die Augen. Akim sah müde aus, schmutzig und abgekämpft. Er blieb in einiger Entfernung stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und verneigte sich. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, als wolle er dem Südländer nicht direkt in die Augen schauen.
»Herr, ich konnte Euren Auftrag nicht ausführen«, murmelteer und wich ein wenig zurück, als befürchtete er Schläge.
Thut Thul Kanens Züge verdüsterten sich, er spürte einen Stich in seiner Brust. Der Junge hatte seine Botschaft an den Hochkönig nicht überbringen können! Alles Warten war umsonst gewesen!
»Was ist geschehen?«
Akim nestelte nervös an seinem schäbigen Hemd. »Herr, es war nicht meine Schuld, alles lief zunächst wie geplant. Ich konnte ohne Probleme durch den geheimen Gang in den Turm von Yridion gelangen und mich an den Wachen vorbeischleichen. Kurz bevor ich aber die Gemächer des Hochkönigs erreichte, belauschte ich das Gespräch zweier Diener. Es tut mir leid: Der Hochkönig weilt nicht mehr in Meledin.«
Thut Thul Kanen sog scharf die Luft ein. »Was soll das heißen?«
»Andorin hat die Festung bereits heute Vormittag verlassen, als eine Flotte von Schiffen auslief«, antwortete Akim leise.
»Die Flotte ist heute abgefahren?«, rief Thut Thul Kanen alarmiert. »Ich habe die Vorbereitungen der letzten Tage beobachtet, aber dass sie schon heute ablegt ...« Er ballte eine Faust. »Befinden sich bereits alle Schiffe auf See?«
Akim schüttelte den Kopf. »Einige liegen noch im Hafenbecken. Den Gesprächen der beiden Diener habe ich außerdem entnommen, dass nur eine kleine Garnison in Meledin zurückbleibt, um die Stadt zu beschützen. Alle anderen Krieger ziehen aus, um eine Insel im Osten zu
Weitere Kostenlose Bücher