Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
großen Krieger gesehen, obwohl er gehört hatte, dass die Südländer Menschen von hohem Wuchs waren.
»Dein Oheim behauptet, dass du jeden Schleichweg und Schlupfwinkel in Meledin kennst und es sogar geschafft hast, in den Turm von Yridion einzudringen. Ist das tatsächlich wahr?«
Akim nickte stolz. »Ja, Herr, es stimmt. Ich bin der Einzige, der den alten, längst vergessenen Wehrgang gefunden hat. Er führt direkt in die unteren Bereiche des Königsturms. Wenn man erst einmal im Inneren ist, kann man sich im ganzen Turm bewegen.«
Thut Thul Kanen brummte zufrieden. »Es ist ein gefährlicher Auftrag, den ich dir anvertrauen will, doch dein Lohn soll die Mühe wert sein.« Er holte ein Goldstück hervor und hielt es Akim unter die Nase. Es funkelte im schwachen Kerzenlicht. Bevor der Junge die Münze ergreifen konnte, zog der Südländer sie jedoch wieder zurück. »Nicht so hastig, mein Freund. Erstmusst du den Auftrag ausführen und zurückkehren, dann bekommst du das Goldstück.«
Akim schaute der Münze sehnsüchtig nach, als sie wieder unter Thut Thul Kanens Mantel verschwand. Sie war mehr wert als alles, was er in den letzten Tagen erbeutet hatte. Sein Oheim wäre sicher sehr zufrieden mit ihm, wenn er sie ergattern würde.
»So höre, was du für mich tun sollst!«
Akim schien es, als wachse Thut Thul Kanens Gestalt in die Höhe, während er sprach.
»Ich möchte, dass du dir Zugang zu den geheimen Bereichen des Hochkönigs im Turm von Yridion verschaffst. Die Wachen werden dich nicht vor den König lassen, darum ist es wichtig, dass du dich auf verborgenen Wegen zu ihm begibst und ihm diese Botschaft überbringst. Präge dir die Worte gut ein und richte ihm Folgendes aus ...«
Thut Thul Kanen sprach langsam und wiederholte seine Botschaft mehrmals, dann beugte er sich vor und blickte Akim eindringlich in die Augen. »Kannst du dir merken, was ich eben gesagt habe?«
»Akim kann sich alles merken und noch viel mehr«, gab der Junge selbstbewusst zurück. »Aber es wird nicht leicht sein, unbemerkt in den Turm von Yridion zu gelangen. Ich muss den richtigen Zeitpunkt dafür abpassen.«
»Wie lange wird es dauern?«
»Erwartet mich morgen im Lauf des Tages zurück.« Akim warf einen neugierigen Blick auf das Bündel, aus dem das seltsame rote Leuchten drang. »Was befindet sich darin?«, fragte er.
»Mach, dass du fortkommst, und stell keine neugierigen Fragen!«, fuhr Thut Thul Kanen ihn an.
Der Junge zuckte zusammen und verschwand eilig in der Dunkelheit.
Der Südländer starrte ihm hinterher. Irgendetwas sagte ihm, dass er sich auf ihn verlassen konnte, er traute ihm zu, dass er seinen Auftrag erfüllen und sich Zutritt zum Hochkönig verschaffen würde – wenn nicht er, dann keiner. Thut Thul Kanen setzte sich in respektvollem Abstand zum unheilvoll glühenden Meledos-Kristall auf den Boden, kreuzte die Beine und beschloss zu warten, bis Akim wieder auftauchte. So saß er die ganze Nacht und den folgenden Morgen, regungslos, einem stummen Wächter gleich, der auf das Schicksal wartet.
15
Am nächsten Tag fanden sich Tenan, Eilenna und Uris schon früh auf dem Flaggschiff der Dan-Flotte ein. »Endlich es wieder zurückgeht!«, kreischte Urisk und klatschte begeistert in die Hände, als er vom Steg auf das Hauptdeck der Trasé hüpfte. Der Waldgeist hatte die ganze Zeit unentwegt von der Fahrt nach Gondun geplappert, so sehr freute er sich darauf, seine Heimat wiederzusehen. Neugierig schnüffelte er in jedem Winkel des Schiffes umher, inspizierte Takelage und Luken und prüfte, ob alles seine Richtigkeit hatte. Natürlich verstand er so gut wie nichts von Seefahrerei, doch die Matrosen ließen ihn lächelnd gewähren.
Tenan konnte Urisks Begeisterung verstehen, aber er teilte sie nicht. Die Gewissheit, dass ihn in Gondun Zerstörung und Tod erwarteten, drückte ihn nieder.
Eilenna dagegen genoss es sichtlich, sich wieder auf einem Schiff zu befinden. Sie lehnte sich über die Reling, um einen Blick aufs Meer zu erhaschen, das zwischen den Hafenmauern wogte. Tenan beneidete sie. Für sie war es eine Seefahrt wie jede andere. Sie konnte die Reise ganz unvoreingenommen antreten und hatte nichts zu verlieren. Mit ihrer Vergangenheit hatte sie ohnehin gebrochen, sie würde nie wieder auf die Insel der Piraten zurückkehren. Ihr Onkel, der Rote Erskryn, würde sie hart bestrafen, weil sie Tenan und seine Gefährten aus der Gefangenschaft der Piraten befreit und sich außerdem seinem Willen
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