Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
klar geworden bin, werde ich Owitambe für immer verlassen.«
Lucie erhob sich demonstrativ.
»Sie werden mich doch sicherlich entschuldigen«, meinte sie kurz angebunden. »Aber ich habe noch einiges zu erledigen.« Sie gab Nancy den Befehl zum Abräumen und verschwand nach einem kurzen Nicken in Fritz’ Richtung im Innern des Hauses. Auch Victor Grünwald entschuldigte sich, sodass Jella und Fritz allein auf der Veranda zurückblieben. Die Sonne stand noch etwa eine Handbreit über dem Horizont.
»Wollen wir vor der Dunkelheit noch eine kleine Runde gehen?«, schlug Fritz vor.
»Gern.«
Er bot Jella seinen Arm an, doch nach einem kurzen Zögern lehnte sie dankend ab. Berührungen jeglicher Art waren ihr immer noch unerträglich.
»Müssen Sie denn nicht bald aufbrechen?«, fragte sie verlegen. »Ich meine, es wird bald dunkel.«
Fritz verzog gleichgültig seine Mundwinkel.
»Das macht mir nichts weiter aus. Der Himmel und seine Sterne weisen mir den Weg, und wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann mach ich mir ein kleines Feuer und genieße die Nacht im Freien. Es gibt nichts Schöneres für mich.«
Er erzählte Jella von seiner Kindheit und der wundervollen Zeit, die er jedes Jahr mit seinem Vater in der Wildnis verbracht hatte. Jella folgte seinen Erzählungen gebannt. Sie hätte nicht gedacht, dass der Mann, den sie bisher nur als einen raubeinigen, ziemlich direkten Menschen kennengelernt hatte, sich so sehr für die Natur und die darin lebenden Tiere interessierte, ja dass er sogar Tiermedizin studiert hatte und ursprünglich eine Wildtierfarm hatte errichten wollen.
»Ich glaube, so etwas wollte mein Vater hier auch aufziehen«, meinte sie nachdenklich. »Jedenfalls habe ich in den letzten Tagen den Eindruck gewonnen. Doch jetzt wird aus Owitambe wohl eine Farm wie jede andere auch.«
Sie seufzte.
»Die Leute hier auf der Farm sind alle ziemlich abweisend«, fügte sie hinzu. »Und Grünwald vertritt sogar die Meinung, dass mein Vater ein hoffnungsloser Romantiker war, weil er sich für die Menschen und ihren Lebensraum eingesetzt hat. Schade. Ich werde wohl nie erfahren, wie er wirklich gewesen ist.«
Fritz sah sie lange nachdenklich an. Sie fühlte seine Blicke wie warme Regentropfen auf sich. Für einen einzigen kurzen Augenblick verloren sich ihre beiden Augenpaare ineinander, was sie zutiefst verwirrte und unsicher machte. Um der Brisanz dieses Augenblicks zu entgehen, sah sie schnell weg.
»Lassen Sie uns dort hinauf gehen«, schlug sie mit belegter Stimme vor und zeigte auf die kleine Anhöhe, auf der die weit ausladende Schirmakazie stand und einen wundervollen Blick ins Tal erlaubte. Sie ging voraus. Zu ihrer Überraschung war der Platz unter dem Baum belegt. Jella wollte Fritz schon das Zeichen zum Umdrehen geben, als die auf einer Wurzel sitzende Person auch sie entdeckte. Sofort erhob sie sich. Jella erkannte, dass es sich um die stolze Himba mit dem auffälligen Jungen handelte. Sie stand rasch auf und verwschwand in der entgegengesetzten Richtung.
»So bleib doch«, rief Jella ihr hinterher. Die schlanke Frau hielt kurz an und drehte sich ihr zu. Ihr fein geschnittenes Gesicht blickte sie traurig an. Einen kurzen Augenblick lang glaubte Jella, dass sie etwas sagen wollte. Aber dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Er bekam um die Mundwinkel herum etwas Hartes und Abweisendes, und die Frau eilte davon, ohne ein Wort gesagt zu haben.
»Ist das nicht die Frau, die sich neulich auch so seltsam verhalten hat?«, fragte Fritz neugierig.
»Nein... das heißt... ja. Sie hat es sich zur Angewohnheit gemacht, ständig vor mir zu fliehen. Ich habe keine Ahnung, weshalb.«
»Sie ist eine Himba«, meinte Fritz. »Ihr Stamm hat eine ganz besondere Einstellung zur Natur. Vieles, was sie sich nicht erklären können, wird durch die Geisterwelt erklärt. Vielleicht erinnern Sie sie an einen Dämonen, oder Sie haben unbewusst ihr Kind zu lange angeschaut. Das ist hier absolutes Tabu. Starren Sie nie zu lange auf fremde Personen und schon gar nicht auf fremde Kinder, wenn ihre Eltern in der Nähe sind.«
»Wie charmant«, bemerkte Jella spitz. »Soll das etwa heißen, dass meine Blicke Schaden anrichten können?«
»Das weiß ich nicht. Mir jedenfalls rauben sie den Verstand«, sagte Fritz leise. Jella wusste nicht, was er damit meinte, aber sie fühlte wieder diese Verlegenheit, mit der sie überhaupt nicht umgehen konnte. Dieser Mann verunsicherte sie, und gleichzeitig fühlte sie sich
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