Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Windhuk gehen und dort mit meiner Freundin Lisbeth meine Arbeit als Krankenschwester aufnehmen. Im Krankenhaus brauchen sie dringend Fachkräfte, und ich denke mal, dass ich nicht die Schlechteste bin.«
»Ein weiser Entschluss, den ich nur allzu gern unterstütze. Darf ich fragen, woher die plötzliche Eingebung stammt? Doch wohl nicht etwa von diesem burischen Händler, der Ihnen gestern seine Aufwartung gemacht hat?«
Jella fühlte, wie sie wider Willen rot wurde, und ärgerte sich über sich selbst.
»Nein, der hat damit ganz und gar nichts zu tun«, wehrte sie heftig ab. »Das ist ein Entschluss, der ganz allein in mir gereift ist. Kann ich nun ein Pferd haben?«
Sie suchte entschieden Lucies Blick. Diese zuckte gleichmütig mit den Schultern und meinte: »Sagen Sie Victor Bescheid. Er wird Ihnen schon ein ordentliches Tier zur Verfügung stellen.«
»Prima«, freute sich Jella. »Dann kann Grünwald mir ja auch sicherlich den Weg zu den Felsen beschreiben, wo mein Vater ums Leben gekommen ist.«
»Um Gottes willen, was wollen Sie denn da?« Lucie war sichtlich erschrocken. »Das ist tiefste Wildnis und überaus gefährlich. Dort können Sie nicht allein hin.«
»Nein?«
»Nein!«
»Dann geben Sie mir eine Begleitung mit«, forderte Jella selbstbewusst. »Bevor ich Owitambe verlasse, möchte ich das Grab meines
Vaters sehen. Das können Sie mir nicht verwehren. Notfalls reite ich eben allein.«
Lucie kaute an ihren Nägeln herum. Jellas Idee schien ihr überhaupt nicht zu gefallen, aber die junge Frau war offensichtlich zu allem entschlossen. Schließlich rang sie sich aber doch zu einem Entschluss durch.
»Warten Sie«, bat sie Jella. »Ich ziehe mir noch schnell etwas über, dann gehen wir zu Grünwald. Vielleicht ist es das Beste, wenn er Sie an diesen unglückseligen Ort bringt.«
Victor Grünwald schien von Jellas Vorschlag ebenso wenig begeistert zu sein wie Lucie von Sonthofen. Er murmelte etwas Unfreundliches vor sich hin, während er sein spitzes Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger knetete.
»Nun gut, bringen wir es hinter uns«, brummte er und winkte Jella, ihr zum Stall zu folgen. Auf dem Weg dorthin kam ihnen Joseph, einer der schwarzen Farmarbeiter, entgegen.
»Die Rinder am Ojonzongwe sind ausgebrochen«, meinte er. »Sie laufen in Richtung Omaheke-Wüste.«
»Verflucht noch mal! Wir haben die Zäune doch erst kontrolliert!«, schimpfte Grünwald zornig. »Wer war dafür zuständig? Du etwa?«
Der Schwarze senkte demütig seinen Kopf.
»Nein, Herr, niemand von Farm ist schuld. Buschmann hat die Zäune zerschnitten. Sie nicht möchten, dass ihr Land durch Absperrung die Wanderung der Tiere verhindert.«
»Dieses gottlose Pack«, brüllte Grünwald wütend. »Wenn ich die vor meine Flinte bekomme, dann knalle ich sie ab. Was bilden die sich ein?«
Lucie versuchte den Vorarbeiter zu beschwichtigen.
»Immer mit der Ruhe, Victor«, meinte sie. »Davon kommen die Rinder auch nicht zurück.«
»Das weiß ich auch«, knurrte er ungehalten. »Los, Joseph, hole Samuel und Simon. Wir reiten in einer Viertelstunde los, um die Tiere wieder einzufangen.«
Ohne Jella noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte in den Stall, um sein Pferd zu satteln.
»Ich fürchte, Sie werden doch noch ein wenig länger auf Owitambe bleiben müssen«, bedauerte Lucie. »Aber Sie sehen ja selbst. Diese Schwarzen machen einem hier nichts als Schwierigkeiten.«
»Buschmänner?«, fragte Jella interessiert. Sie musste wieder an die alte Frau in Berlin denken. »Stimmt es, dass sie wie Nomaden durch die Kalahari ziehen, obwohl es dort überhaupt kein Wasser gibt?«
»Was geht es mich an?«, brummte Lucie ungehalten. Sie war bereits wieder auf dem Weg zum Haus. »Ich habe noch nie eine wilde Buschmanngruppe gesehen. Einige von ihnen verlassen ihre Familien, um bei den Farmern zu arbeiten. Sie sind im Allgemeinen ganz verträgliche Leute. Gutmütig und zuverlässig bei der Arbeit, solange man ihnen keinen Alkohol gibt. Mehr weiß ich nicht über das Pack.«
Jella kannte Lucie mittlerweile gut genug, dass sie wusste, dass für sie das Thema Buschmänner damit erledigt war. Schweigend verfolgte sie, wie ihre Stiefmutter wieder im Haus verschwand. Wieder einmal frage sie sich, warum ihr Vater diese Frau geheiratet hatte. Es passte überhaupt nicht in das Bild, das sie sich bisher von ihm gemacht hatte. Offensichtlich hatte sie ihn jedoch falsch eingeschätzt.
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