Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
durch die Gegend zu tragen. Immer wieder hatte Jella absteigen und das Tier am Zügel hinter sich herziehen müssen, weil es keinerlei Anstalten machte, von den vielen würzigen Grasbüscheln abzulassen. Jella war zwar eine passable Reiterin - ihr Großvater hatte darauf bestanden, dass sie es in Berlin lernte -, aber die Sturheit der alten Mähre war größer als ihre Reitkunst. Heute hatte Jella keine Lust auf einen erneuten frustrierenden Ausritt. Sie beschloss, in Owitambe zu bleiben, um die Arbeit auf der Farm zu beobachten. Im noch dämmrigen Morgenlicht sah sie Grünwald, wie er vom Herrenhaus in Richtung Stallungen ging. Sie vermutete, dass er dort die Anweisungen für den kommenden Tag geben wollte. Mit zügigen Schritten hielt sie auf diesen Teil des Grundstücks zu. Am Eingang zu dem großen Stall, in dem es mehrere Pferche gab, wurde sie Zeuge, wie Grünwald einen der Arbeiter anschrie und ihm schließlich mit seiner Peitsche, die er immer bei sich trug, mitten ins Gesicht schlug.
»Du verdammter Hurensohn«, zischte er außer sich. »Habe ich euch nicht tausendmal gesagt, dass ihr die Hände von meinen Kühen lassen sollt?« Der Geschlagene, ein tiefschwarzer Damarra, lag zusammengekrümmt auf dem Boden.
»Bitte, Herr, nicht schlagen«, jammerte er. »Meine Schwester braucht Milch für Baby. Ich wollte nichts stehlen. Herr Johannes hat es immer erlaubt.«
Grünwald schlug noch einmal unbarmherzig auf den am Boden liegenden Mann ein.
»Dein Herr Johannes ist tot«, sagte er kalt. »Merk dir das ein für alle Mal. Wenn ich dich oder irgendeinen anderen nochmals beim Milchstehlen erwische, dann jage ich ihn von der Farm. Ist das klar?«
Der Damarra nickte kleinlaut. Aus Angst vor weiteren Schlägen wagte er immer noch nicht, sich aufzurichten. Da entdeckte Grünwald Jella. Sein Gesicht zeigte immer noch Ärger, aber auch eine
leise Spur von Genugtuung. Jella hatte das unbestimmte Gefühl, dass es dem Mann sogar Spaß machte, seine Arbeiter zu prügeln.
»Schon so früh auf?«, fragte er, ohne auf die vorangegangene Szene einzugehen.
»Mussten Sie den armen Mann schlagen?« Jella war zutiefst betroffen. So ging man nicht mit Menschen um. Am liebsten wäre sie zu dem Geschlagenen gegangen, um ihm aufzuhelfen.
»Ich glaube kaum, dass es Frau von Sonthofen gefällt, wenn Sie so mit ihren Angestellten umspringen.«
Grünwald lachte laut auf. »Da können Sie Gift darauf nehmen, dass es ihr sogar sehr recht ist, wenn hier jemand für Zucht und Ordnung sorgt. Aber das alles geht Sie sowieso nichts an! Sie haben hier nichts zu sagen.«
»Mag sein, dass ich hier keinerlei Rechte habe«, blitzte Jella. »Aber als Christin und mitfühlender Mitmensch bin ich immer noch dazu verpflichtet, mich einzumischen, wenn andere Menschen ungerecht behandelt werden.«
»Moralischer Kleinkram«, raunzte Grünwald ungehalten. »Machen Sie lieber, dass Sie mir aus dem Weg kommen. Ich habe noch eine Menge Arbeit vor mir.«
Damit ging er grußlos an Jella vorüber und verließ den Stall. Jella nutzte die Gelegenheit, um zu dem Damarra zu gehen. Sie schämte sich für Grünwalds Wutausbruch und wollte dem armen Mann aufhelfen. Doch der Damarra schüttelte nur den Kopf.
»Sie dürfen nicht helfen, sonst nur Ärger«, wehrte er ab. Er sah Jella einige Augenblicke aus seinen glänzenden dunklen Augen an, bevor er mit schmerzverzerrtem Gesicht aufstand und davonhinkte. Kopfschüttelnd begab sich Jella nun ins Herrenhaus, um zu frühstücken. Nancy werkelte bereits in der Küche. Es roch nach Rührei mit Speck und heißen Würstchen.
»Hallo, Nancy«, begrüßte Jella die Hererofrau. »Schon so früh wach?«
Nancy strahlte sie an und nickte. »Immer wenn Herr Johannes früh aufstand, stand Nancy auch früh auf - und wenn Herrn Johannes’ Tochter früh aufsteht, dann ist Nancy auch da. Hunger?«, fragte sie und deutete augenzwinkernd auf das reichhaltige Frühstück.
»Ist das etwa alles für mich?«, staunte Jella. Sie fühlte sich geehrt. Immerhin war die Hausangestellte ihr gegenüber freundlich eingestellt. Nancy nickte verschwörerisch. »Aber nicht der Herrin verraten. Sonst bekommt Nancy Ärger«, fügte sie fast verlegen hinzu. Jella wollte fragen, was das zu bedeuten hatte, aber Nancy schüttelte nur den Kopf und machte sich daran, Jella eine ordentliche Portion Eier, Speck und Würstchen auf den Teller zu schaufeln. Schweigend und auch etwas enttäuscht nahm Jella ihr Frühstück entgegen. Es kam ihr vor, als
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