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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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Vater war tot, und im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass er Rachel wohl schneller vergessen hatte, als sie alle gedacht hatten. Dieser bitteren Tatsache musste sie wohl oder übel ins Auge sehen, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte.
    Langsam und gründlich schweifte ihr Blick über die holzvertäfelten Wände, die Standuhr im Eck, die Anrichte mit dem Vertigo, über den dicken Holzbohlenboden und den darüber gelegten Perserteppich. Sie wollte alles in sich aufnehmen, um es immer in ihrem Gedächtnis zu behalten. Mehr zufällig blieben ihre Augen an den Fugen der Holzbretter unter der Anrichte hängen. Sie sahen irgendwie anders aus, so als wären sie vor Kurzem mit einem Messer gesäubert worden. Jella kniete nieder und klopfte mit dem Fingerknöchel auf das Fußbodenbrett. Es klang seltsam hohl. Neugierig versuchte sie, das Brett mit den Fingern zu lösen, aber es gab nicht nach. Suchend sah sie sich nach etwas Geeignetem um. Auf dem Schreibtisch entdeckte sie einen Brieföffner. Sie lauschte in Richtung Tür, doch weder Nancy noch einer der anderen Hausbediensteten machten sich gerade in ihrer Nähe zu schaffen. Vorsichtshalber schloss sie die Tür. Eine gewisse Erregung ergriff sie, als sie den Brieföffner zwischen die Bretterritzen steckte und an ihnen entlangfuhr. Nach ein paar Versuchen gab das Brett tatsächlich etwas nach. Sie ruckelte daran, bis sie es etwas anheben konnte. Dann fuhr sie mit den Fingern darunter und löste es schließlich ganz. Unter dem Fußboden befand sich ein kleiner Hohlraum, nicht mehr als ein handtaschengroßes Fach, aber groß genug, um etwas darunter zu verstecken. Die Öffnung war so schmal, dass Jella gerade ihre Hand hineinstecken konnte. Tastend bewegten sich ihre Finger durch das Versteck, bis sie schließlich einen ledernen Sack und mehrere gebundene Hefte
zu greifen bekam. Sie zog alles heraus, um es sich anzusehen. Da hörte sie ein Geräusch. Jemand kam ins Haus. Jella schob hastig das Brett an seinen Platz und steckte Hefte und den Lederbeutel unter ihre Bluse. Dann wartete sie hinter der geschlossenen Tür, bis die Schritte verklungen waren. Leise die Tür öffnend verschwand sie aus dem Zimmer, um in aller Ruhe in ihrem eigenen Raum den Fund zu untersuchen.
     
    Mit klopfendem Herzen stellte sie fest, dass es sich tatsächlich um persönliche Aufzeichnungen ihres Vaters handelte. Es waren nicht sehr viele, und wahrscheinlich waren sie nicht vollständig, dennoch schienen sie beim ersten Betrachten einen Abriss über die letzten zwanzig Jahre in Johannes’ Leben zu geben. Ihre Hände zitterten, als sie sich daranmachte, sich in die Aufzeichnungen zu vertiefen. Endlich hatte sie etwas gefunden, was ihr den Vater näher bringen konnte. Die Tagebücher begannen im Jahr 1884, dem Jahr, in dem sie selbst geboren worden und ihr Vater mit einem Schiff der Woermannlinie nach Südwest ausgewandert war. Anfangs hatte sie Mühe, die steile, enge Schrift ihres Vaters zu entziffern, doch nach ein paar Seiten hatte sie sich eingelesen und verfolgte nun gebannt ihren Inhalt. Sie erfuhr von der großen Liebe, die ihr Vater für ihre Mutter empfunden hatte, und über seine Gründe, fortzugehen. Auf dem Schiff hatte er noch geschrieben:
     
    Mein Gott, wie weh wird mir, wenn ich daran denke, dass meine Rachel jetzt ganz allein in dem öden Berlin verweilt, während ich hier auf Abenteuerreise gehe. Tag für Tag ist sie als Gesellschafterin den Launen ihrer hochnäsigen Herrschaft ausgesetzt, noch dazu beschämend bezahlt. Das hat sie nicht verdient. Sie ist das Wunderbarste, was mir jemals widerfahren ist. Und ich werde alles tun, um sie bald von ihrem leidigen Schicksal zu erlösen.
    Gott allein weiß, wie schwer mir die Entscheidung gefallen ist, uns
ein Leben im fernen Afrika aufzubauen. Doch die Sturheit meines Vaters und sein unzeitgemäßes Standesbewusstsein lassen mir keine andere Wahl. Die Heftigkeit, mit der er sich gegen unsere Verbindung gestellt hat, hätte uns keine gemeinsame Zukunft ermöglicht. In den Kolonien liegt Deutschlands Zukunft. Dank der weisen Voraussicht des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz haben wir nun die Möglichkeit, neue Reichtümer zu schöpfen und neue Lebensformen zu erproben. In den Kolonien kennt man keine Standesunterschiede. Dort kann Rachel auch ohne einen Adelstitel meine Frau werden. Noch besser: Ich lege meinen Titel einfach ab. Doch zuerst muss ich uns ein Nest bauen. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich meinen

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