Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Rinder führte zu einem starken Preisanstieg für Fleisch, was wiederum für die deutschen Siedler bedeutete, dass für sie die Rinderzucht interessant wurde. Viele Farmer sahen ihre Zukunft auf den wertvollen Weidegründen der Hereros. Bereits vor der Pest hatten die Hereroanführer
viel gutes Land über die Köpfe ihrer Stämme hinweg an deutsche Siedler verkauft. Doch nun waren die Hereros durch den Verlust ihrer Rinder noch ärmer geworden, sodass die Kapitäne, unter ihnen auch Samuel Maharero, immer noch mehr Land verkauften. Die Folge war verheerend. Die Verarmung der Hirten war grenzenlos, denn jetzt standen ihnen immer weniger Weideland und Frischwasserbrunnen zur Verfügung. Viele Herero waren gezwungen, Lohnarbeit auf deutschen Farmen anzunehmen. Andere sahen keine andere Möglichkeit, als ihre Tiere verbotenerweise auf den riesigen deutschen Farmländern weiden zu lassen. Dies zog den Zorn der deutschen Siedler auf sich. Sie vertrieben die Hirten oft mit Gewalt. Johannes bekümmerte die Entwicklung. Er sah mit eigenen Augen, wie die Kolonialisten mit ihrer Überheblichkeit, die einerseits aus der Unkenntnis der Sitten, aber in vielen Fällen auch aus dem Gefühl der kulturellen und geistigen Überlegenheit resultierte, die schwarzen Völker demütigten und ihren Widerstandsgeist anfachten. Auch in den Minen waren diese Ungerechtigkeiten zu spüren. Trotz aller Interventionen war der Lohn der Minenarbeiter erbärmlich gering im Vergleich zu der lukrativen Ausbeute, die allein den Minenbesitzern zugutekam. Eines Tages hatte Johannes einen Entschluss gefasst:
Die Lage in den Minen bedrückt mich immer mehr. Tag um Tag schuften die Menschen für einen kärglichen Lohn, während die Minenbesitzer den Lohn abschöpfen. Ich sollte froh sein, denn schließlich profitiere ich ebenfalls davon. Doch im gleichen Maße, wie mein Reichtum wächst, wächst auch mein schlechtes Gewissen. Ich möchte gern etwas von dem, was ich erwirtschaftet habe, auch wieder dem Land zurückgeben. Deshalb habe ich einen Entschluss gefasst. Zum Ende des Monats werde ich Tsumeb verlassen. Während einer meiner letzten Reisen für die Minengesellschaft bin ich am Waterberg auf ein traumhaft schönes Stück Land gestoßen, auf dem ich sofort das Gefühl hatte, zu Hause zu sein. Glückliche Umstände wollten
es, dass die Kolonialverwaltung einen weißen Siedler suchte, der das Land bewirtschaftet. Ich musste nicht lange überlegen, bis ich zugriff. An diesem Ort werde ich versuchen, meine Ruhe zu finden. Ich frage mich, ob es nicht möglich ist, die Farm gemeinsam mit den Schwarzen zu bewirtschaften, anstatt sie nur als billige Arbeitskräfte zu missbrauchen. Ich möchte Rinder kaufen und sie züchten, aber mir fehlt das Wissen um die Tiere. Die Hereros sind die besten Rinderzüchter weit und breit. Warum soll ich sie nicht mit einbeziehen in meine Zucht? Es muss doch einen Weg geben, wie alle Beteiligten einen Profit daraus ziehen...
Jella las und las. Die Zeit verging wie im Fluge. Längst war die Mittagszeit vorüber. Sie hatte sich nur schnell ein paar Früchte aus der Küche geholt und sie mit aufs Zimmer genommen. Sogleich hatte sie sich wieder in die Aufzeichnungen vertieft. Mit jeder Zeile wurde ihr der Vater vertrauter. Wenn sie die Augen schloss, sah sie ihn genau vor sich. Groß gewachsen wie sie, schlank und in seinem Wesen geradeheraus. Die Erkenntnis schmerzte sie umso mehr, als sie wusste, dass sie ihn nie kennenlernen würde.
Tatsächlich hatte Johannes sein Vorhaben kurz darauf wahr gemacht. Gemeinsam mit einigen Hererohirten, aber auch mit Damarras und Ovambos hatte er Owitambe aufgebaut und eine Art Genossenschaft daraus gemacht, in die jeder Bewohner, je nach seinen Fähigkeiten, seine Arbeitskraft einbringen konnte. Entsprechend seinem Einsatz wurden dann nach einem festgelegten Raster die Gewinnanteile berechnet. Die Farm gehörte zwar Johannes, aber ihr Ertrag kam allen Menschen, die darauf lebten, zugute. Die umliegenden Farmer sahen Johannes’ Art, eine Farm zu führen, sehr skeptisch. Sie glaubten, dass die schwarzen Farmarbeiter nur mit Zucht und Ordnung zu halten waren. Für sie blieben sie bestenfalls »unschuldige Wilde«, denen nichts Besseres passieren konnte, als dass die Deutschen ins Land gekommen waren, um sie zu ordentlichen Christen zu erziehen. Aus diesem Grund blieb Johannes
ziemlich isoliert und hatte mit den anderen Weißen kaum etwas zu tun. Eines Tages war Victor Grünwald aufgetaucht.
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