Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Unterhalt selbst verdienen. So hat sich mein langjähriges Studium doch noch bezahlt gemacht. Ich werde mein Glück im Bergbau suchen. Gebe Gott, dass es mir gelingen wird, damit ich so schnell wie möglich Rachel nachholen kann. Sobald ich ein geregeltes Einkommen habe, schicke ich ihr die Fahrkarte für die Reise hierher. Bis dahin bleiben mir nur die Erinnerungen an sie und die wunderbare Fotografie, die mir nur ein schlechter Ersatz für ihre traurige Abwesenheit ist...
Fasziniert überflog Jella die nächsten Seiten des ersten Hefts, und nachdem sie dieses zu Ende gelesen hatte, griff sie nach dem nächsten. Sie erfuhr anfangs weniger über ihren Vater als über die Geschichte Deutsch-Südwestafrikas. Ihr Vater schilderte begeistert die weise Voraussicht des Bremer Tabakhändlers Adolf Lüderitz, der 1884 im Reichstag einen Interventionsantrag gestellt hatte, dem Bismarck nach einigem Zögern zugestimmt hatte. Als Folge wurde die deutsche »Schutzherrschaft« über die von ihm käuflich erworbenen Gebiete proklamiert. Faktisch war damit die erste deutsche Kolonie geschaffen worden. Mit demselben Schiff, auf dem ihr Vater reiste, waren Forscher, Händler, ein paar abenteuerlustige Siedler und eine Handvoll Offiziere und Unteroffiziere nach Deutsch-Südwest entsandt worden. Schon bald nach seiner Ankunft hatte sich ihr Vater einem Trupp Geologen angeschlossen,
die von Adolf Lüderitz beauftragt worden waren, in der Namib-Wüste nach Bodenschätzen zu suchen. Der Bremer Tabakhändler war der festen Überzeugung gewesen, dass es in dem von ihm erworbenen Gebiet riesige Erz- und Edelsteinvorkommen, Silber, Gold und Diamanten geben musste. Doch seine Hoffnungen erfüllten sich so nicht. Weder Johannes noch andere Geologen waren auf nennenswerte Vorkommen gestoßen, weil sie weder die Mittel noch die Möglichkeiten hatten, das Land systematisch zu untersuchen. Schon 1885 waren Lüderitz’ Geldreserven erschöpft, und er sah sich gezwungen, seine gesamten Ländereien an die auf Betreiben Bismarcks gegründete Deutsche Kolonialgesellschaft für Südafrika zu verkaufen. Johannes von Sonthofen fand bald neue Beschäftigung. Aus Deutschland kommend hatten sich mittlerweile verschiedene Bergbaugesellschaften angesiedelt, um sich gründlicher auf die Suche nach Bodenschätzen zu machen. Sie waren immer auf der Suche nach guten Leuten, die bereit waren, auch tief in das fremde Land vorzustoßen. Dieses Mal verschlug es Jellas Vater in den Norden, in die Nähe von Tsumeb und Tschudi. Tatsächlich stieß er dort auf Erze, die mit etwas Silber und reichlich Kupfer und Blei angereichert waren. Die Bergbaugesellschaft, für die er arbeitete, belohnte seinen Erfolg dahingehend, dass sie ihn damit beauftragte, für sie eine Schmelzhütte mit Blei- und Kupferschachtöfen zu errichten, damit das Erz an Ort und Stelle verhüttet werden konnte. Allem Anschein nach war er sehr erfolgreich und bekam auch eine kleine Beteiligung an den Gewinnen, die ihm wohl später den Kauf von Owitambe ermöglicht hatten. Johannes’ Beschreibungen waren stets nüchtern und bezogen sich meist auf Geschehnisse innerhalb des Kupferbergwerks. Hin und wieder waren ein paar persönliche Notizen eingeflochten, in denen Johannes sein Bedauern zum Ausdruck brachte, dass er immer noch keinen Brief von Rachel erhalten hatte, obwohl er ihr schon mehrfach geschrieben hatte. Dann musste er die verleumderischen
Briefe von seinem Vater erhalten haben. Es mochten etwa anderthalb Jahre seit seiner Ankunft in Afrika vergangen gewesen sein. Jella traf es tief, als sie die Passage las. Sie selbst war damals schon über ein Jahr alt gewesen:
Heute ist der schwärzeste Tag meines Lebens. Meine schlimmsten Ängste haben sich bewahrheitet. Rachel hat mich vergessen und woanders Trost gesucht. Es fällt mir schwer, den Worten meines Vaters Glauben zu schenken, aber die Tatsache, dass Rachel ein neugeborenes Kind hat, muss mir Beweis genug sein. Da ich zu dieser Zeit schon in Afrika gewesen bin, komme ich als Vater nicht in Betracht! Möge Gott mir die Kraft geben, diese Frau zu vergessen!
Wieder einmal fühlte sie diesen tiefen Groll. Ihr Großvater hatte nicht nur Rachel denunziert, sondern war auch noch auf die perfide Idee gekommen, ihr Kind jünger zu machen, als es tatsächlich gewesen war. Dadurch musste Johannes zwangsläufig zu der Überzeugung gelangen, dass er gar nicht der Vater sein konnte. Er musste glauben, dass Rachel ihm untreu geworden
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