Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
ihrem Vater gestanden? Würde sie es je erfahren?
Jella war verwirrt und aufgewühlt. Sie beschloss in die Küche zu gehen, um etwas zu frühstücken. Sie hatte seit dem Picknick mit Fritz nichts Richtiges mehr gegessen. Ihr Magen knurrte, außerdem war es schon spät. Die Sonne stand weit oben am Himmel. Der Gedanke, dass Lucie nicht im Haus war, gefiel ihr. Die Abneigung gegen die Frau ihres Vaters war im Laufe ihres Aufenthaltes nicht kleiner geworden. Lucie war nach Otjiwarongo gefahren, um endlich die Erbangelegenheiten zu regeln. Wenn sie zurückkam, würde Owitambe unwiderruflich ihr gehören. Der neue Bezirkshauptmann
hatte ihr diesbezüglich eine Vorladung geschickt. Weshalb Grünwald sie begleitete, war ihr allerdings schleierhaft. Im Grunde genommen war es ihr jedoch egal. Sie war nur nach Owitambe zurückgekehrt, um sich endgültig von allem zu verabschieden. Danach würde sie zurück nach Windhuk gehen und ein neues Leben beginnen.
Nancy hatte ihr eine riesige Portion Rührei mit Schinken und frischem Toastbrot zubereitet. Dazu hatte sie eine Kanne Rotbuschtee aufgebrüht und ihr frisches Obst gereicht. Die Herero-Frau freute sich über Jellas großen Appetit.
»Wie lange ist Sarah eigentlich schon auf der Farm?«, wollte Jella wissen.
Nancy warf ihr einen merkwürdigen Blick zu.
»Etwa fünf Jahre. Ich weiß es nicht mehr so genau.« Ihre Antwort war wie gewöhnlich zurückhaltend.
Jella ging aufs Ganze. Sie wollte Lucies Abwesenheit nutzen, um noch möglichst viel über ihren Vater herauszufinden.
»Ist Johannes der Vater von Sarahs Kind?«, fragte sie rundheraus. Nancy zuckte zusammen. Sie war offensichtlich von ihrer Frage überrascht worden und musste erst überlegen, was sie antworten sollte.
»Ist er es nun oder nicht?« Jellas Blick bohrte sich in Nancy, die immer verlegener wurde.
»Oh Jesus Maria«, rief sie schließlich aus und rannte Hals über Kopf aus der Küche.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, murmelte Jella. Sie war sich nun ziemlich sicher, dass es stimmte. Ihr Vater musste ein ziemlicher Schürzenjäger gewesen sein. Wahrscheinlich hatte er Lucie tatsächlich nur geheiratet, damit das Gerede unter den weißen Farmern verstummte.
Nachdenklich verließ sie die Küche, um nach draußen zu gehen.
Doch die Sonne stach mit solcher Heftigkeit auf die Veranda, dass sie sofort wieder umkehrte. Sie beschloss, Lucies Abwesenheit zu nutzen, um sich das Haus noch einmal näher anzusehen. Besonders Johannes’ Arbeitszimmer hatte es ihr angetan. Auf dem eichenen Schreibtisch lagen Rechnungen und Papiere, die über die Ein- und Ausgaben der Farm Auskunft gaben. Jella setzte sich auf den mit grünem Samt bezogenen Stuhl und sah nach. Die Einträge waren über längere Zeit von ihrem Vater begonnen worden. Er hatte eine steile, gleichmäßige Handschrift gehabt und akribisch genau über alles Buch geführt. Nach seinem Tod hatte Grünwald oder Lucie die Einträge mehr oder weniger genau fortgeführt. Obwohl es Jella nichts anging, konnte sie daraus ersehen, dass Lucie seither auf großem Fuße gelebt hatte. Sie fand Rechnungen von neuen, teuren Seidenkleidern und maßgefertigten Schuhen, von aufwändigen Accessoires und Hüten. Jella wunderte sich nicht. Das alles sprach nur für Lucies mangelndes Taktgefühl. Allerdings, wenn sie weiterhin so wirtschaftete, wäre sie bald bankrott. Beim Durchsehen der Schubladen entdeckte sie ebenfalls nichts Auffälliges. Tinte, Federhalter, Tintenroller zum Trocknen der frischen Tinte, der übliche Schreibtischkram eben - und eine leere Geldkassette, die aufgebrochen worden war. Wahrscheinlich hatte Lucie den Schlüssel nicht gefunden und sie deshalb aufgebrochen. Schade! Vielleicht waren darin ja persönliche Aufzeichnungen gewesen. Jella würde Lucie vor ihrer Abreise nach solchen Dokumenten fragen. Außer dem Foto ihrer Mutter, das sie schon neulich an sich genommen hatte, hatte sich nichts von Interesse gefunden. Das Wesen ihres Vaters würde ihr für immer verborgen bleiben. Enttäuscht stand sie auf. Gedankenverloren umrundete sie den Schreibtisch und versuchte, sich dahinter den unbekannten Menschen, der ihr Vater gewesen war, vorzustellen. Bis sie nach Afrika gekommen war, war Johannes von Sonthofen ihr immer wie ein Heiliger erschienen, der durch die Intrigen ihres Großvaters
zu einem unschuldigen Opfer geworden war. Das war auch der Grund gewesen, weshalb sie ihn hatte kennenlernen wollen. Doch nun war alles anders gekommen. Ihr
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