Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Mongononüssen gefüllt. Außerdem trug er seinen Köcher mit Pfeilen und den kleinen Buschmannbogen sowie ein mit Wasser gefülltes Straußenei bei sich. Er lief der Sonne entgegen durch unberührte Baumsavanne und Waldland, das durchsetzt war von hohen Bäumen wie dem Blutholzbaum, der Roten Syringa, Teakholzbäumen und Mankettibäumen. Zwischendrin fanden sich reichlich Wild und auch genügend Wasser. Dann kam er auf Hereroland, wo sich viele weiße Menschen niedergelassen hatten. Er kroch unter Weidezäunen hindurch und überquerte Farmgelände. Dabei warf er sehnsuchtsvolle Blicke auf die fleischhaltigen Rinder, von denen er liebend gern eines geschossen hätte, um es zu seiner Familie zu bringen. Wenn sich eine günstige
Gelegenheit bot, fing er sich eine Kuh ein und spritzte ihre Milch in seinen Mund. Wie man sie molk, wusste er von einem Hererohirten, mit dem er einst Handel getrieben hatte. Dann lief er weiter, unermüdlich mit gleichmäßigen Schritten, rein in die Omaheke-Wüste im nordwestlichen Teil der Kalahari. Er durchkletterte tiefe Schluchten, durch die sich im Lauf von Jahrmillionen Trockenflüsse gegraben hatten, und suchte abends Schutz vor der Kälte, indem er sich ein Feuer anzündete. Vier Tage war Debe nun schon unermüdlich unterwegs, als ihn etwas innehalten ließ. Es war die Luft, die sich plötzlich verändert hatte. Sie war stickig und drückte auf die Lunge. Debe hielt an und witterte in die Luft. Wie ein Tier lauschte er nach auffälligen Geräuschen. Bleierne Schwere lag über allem. Dann kam Bewegung in die Landschaft. Überall suchten Kriechtiere nach sicherem Unterschlupf. Echsen, Schlangen, Springhasen und Erdmännchen stürmten Debe entgegen und verkrochen sich blitzartig in den sich bietenden Unterschlüpfen. Auch Debe sah sich furchtsam nach einem Versteck um. Der große Kauha war dabei, seine Macht zu entfalten. Ein lautes Grummeln wie das Getöse herandonnernder Wellen näherte sich. Debe lief zu einem Termitenhügel, der unten von einem Honigdachs ausgehöhlt worden war. Die Öffnung war zu klein für einen Menschen, selbst für einen kleingewachsenen Buschmann wie ihn. Voller Panik ging er in die Knie und vergrößerte mit seinen Händen den Eingang in den Dachsbau, inständig hoffend, dass das Tier nicht zu Hause war. Er hatte Glück; der Bau war leer. Eilig kroch er hinein und kauerte sich in den Unterschlupf, der kaum größer war als er. Keinen Augenblick zu früh. Mit Donnern und Brausen näherte sich eine gewaltige, rote Sandwand. Debe zitterte, denn er wusste, was ihn gleich erwarten würde. Eilig schlang er seinen Lederumhang um Mund und Nase. Wie ein Kaninchen vor den Augen der Schlange sah er die rote, wirbelnde Walze auf sich zukommen und konnte nichts dagegen tun. Die rotglühende
Sandwand reichte bis in den Himmel und bewegte sich wie eine galoppierende Herde Zebras direkt auf ihn zu. Die Staubwalze überrannte alles und raubte die Luft zum Atmen. Mühsam rang Debe nach Sauerstoff und versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Um ihn herum war es nachtschwarz geworden, während Sand- und Staubkörner in jede Ritze seiner Körperöffnungen drangen. Sturmgeheul übertönte selbst das laute Klopfen seines Herzens. Oh Kauha, halte ein mit deinem Zorn, bat Debe voller Angst. Äste, Büsche und Zweige wurden hochgewirbelt und jagten pfeilschnell an ihm vorbei. Es war ein Inferno, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab.
Als Debe seine sandverkrusteten Augen öffnete, war der Spuk vorüber. Sein Herz schlug immer noch unregelmäßig, als er sich mühsam aus seinem Versteck quälte. Die Knochen taten ihm weh von der ungewohnten Haltung, aber er war heil dem Sturm entkommen. Er spuckte den Sand aus seinem Mund aus und sah nach dem Straußenei. Wie durch ein Wunder war es in der Enge des Baus unversehrt geblieben. Er zog das Aststückchen, das ihm als Stöpsel diente, aus dem Loch und trank einen winzigen Schluck Wasser. Dann setzte er seinen Weg fort.
Gegen Abend kam er in eine Gegend, die typisch war für den südlichen Teil der Kalahari. Die Landschaft war übersät mit länglichen, roten Dünenwellen, die der Wind im Laufe der Jahrtausende geformt hatte. Im Gegensatz zu den weichen, sandigen Dünen hatten die Täler dazwischen einen festeren Boden, auf dem es sich leicht laufen ließ. Allerdings konnte man dort auch leicht die Orientierung verlieren. Debe machte eine Pause und ruhte sich aus. Er wartete auf die Nacht, um sich von ihr den Weg weisen zu lassen.
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