Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Familienzuwachs zu verkraften. Erst das unerwartete Wiedersehen mit ihrem Vater, und jetzt präsentierte er ihr auch noch einen Halbbruder. Der kleine Raffael hatte erheblich weniger Schwierigkeiten mit seiner neuen Schwester.
»Magst du Automobile?«, fragte er neugierig. Jella erstaunte die Frage.
»Woher kennst du denn Automobile? Ich habe hier noch keines gesehen!«
»In Windhuk gibt es welche«, erklärte der Junge wichtig. »Papa und ich haben sie uns schon angesehen. Weißt du, wie man sie fährt?«
Jella musste verneinen, aber sie hatte doch noch einen Trumpf
im Ärmel. »Ich kann dir aber erklären, wie so ein Motor funktioniert!«
Raffael strahlte seine Schwester bewundernd an und umarmte sie völlig unerwartet. In diesem Moment hatte er Jellas Herz erobert.
Nakeshi und Debe standen grinsend daneben. Auch ohne die Sprache zu verstehen, hatten sie wohl erraten, was hier vor sich ging. Johannes grinste ebenfalls. Doch dann wurde er wieder ernst und fragte Sarah nach dem Verbleib der anderen Farmbewohner.
»Sie glauben, dass großes Unglück über Owitambe ist«, sagte Sarah. »Du warst verschwunden. Die weiße Frau, die gesagt hat, dass du ihr gehörst, hat behauptet, du bist tot. Sie und Grünwald behandelten uns sehr schlecht. Grünwald bezahlte nur wenig Lohn für viel mehr Arbeit. Wir wollten nur, was wir immer bekommen. Aber Grünwald ist ein böser Mensch. Er drohte uns, alle davonzujagen. Dann kam sie.« Sarah zeigte auf Jella. »Wir haben alle gesehen, dass dein und ihr Blut eines sind. Wir hatten Hoffnung. Aber dann verschwand auch sie. Für die meisten war das ein schlimmes Omen. Sie glauben, dass böse Geister Owitambe verflucht haben. Jetzt sind nur noch Nancy und ich hier.«
»Wir müssen die Arbeiter und ihre Familien zurückholen!«, meinte Johannes empört. »Owitambe ist doch ihre Heimat!«
Sarah lächelte. »Sie werden zurückkommen, ganz allein.«
»Wo sind Grünwald und seine Frau?«
»Verschwunden.« Sarah zuckte mit den Schultern.
»Das wird auch besser für sie sein!«, knurrte Johannes grimmig. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass sie zur Verantwortung gezogen werden.«
Plötzlich schwang die Verandatür auf, und Nancy trat heraus. Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte sie auf die kleine Truppe vor sich. Dann begann sie vor Begeisterung wie ein aufprellender
Gummiball auf und ab zu hüpfen, was bei ihrem Leibesumfang einen recht erheiternden Anblick bot. Jella verkniff sich nur mit Mühe ein Lachen. Erst recht, als Nancy anfing, abwechselnd zu jubeln und Gott und die Geister für ihre wundersamen Kräfte zu preisen.
»Hallelujah!«, skandierte sie. »Oh Gott, ich wusste, dass du uns in unserer Not beistehst. Du hast die Geister der Toten zurück ins Leben geschickt!«
Endlich stürzte sie ihnen entgegen. Abwechselnd ergriff sie Johannes’, dann wieder Jellas Hände und drückte sie gegen ihren großen Busen, als wolle sie sich vergewissern, dass ihre Herrschaft auch wirklich aus Fleisch und Blut sei. Tränen der Freude und der Erleichterung strömten über ihr Gesicht, und sie hätte damit nicht aufgehört, hätte Johannes ihr nicht Einhalt geboten.
»Nun ist aber mal Schluss, Nancy«, beruhigte er die Köchin energisch. »Wir sind ja auch alle froh, wieder hier zu sein. Aber wenn du so weitermachst, werden wir noch alle verhungern. Lass uns erst einmal ins Haus gehen und eine Tasse Tee trinken.«
Erschrocken hielt sich Nancy die Hände vor den Mund und trat einen Schritt zurück. Sie betrachtete Jella und ihren mager gewordenen Herrn und besann sich plötzlich wieder ihrer Aufgabe als Köchin.
»Ich werde kochen, kochen, kochen«, rief sie, noch während sie sich umdrehte und in Richtung Haus davonschwirrte.
Kurze Zeit später saßen alle gemütlich im Wohnzimmer des Farmhauses beisammen, tranken Tee und stärkten sich an den eilig herbeigeschafften Köstlichkeiten, die sich noch in Nancys Speisekammer befanden. Nachdem alles aufgegessen war, erhoben sich die beiden Buschmänner, um sich zu verabschieden. Jella bat Nakeshi, noch ein wenig länger auf der Farm zu bleiben. Doch diese schüttelte bedauernd den Kopf und machte ihr klar, dass sie zurück zu
ihren Leuten musste. Als sie Jellas trauriges Gesicht sah, lächelte sie und deutete auf ihre Brust.
»Du bist immer hier«, schien es zu bedeuten. Jella verstand, was sie meinte. Über ihren Vater teilte sie ihrer Freundin mit, dass sie sie bald besuchen werde. Nakeshi nickte. Dann verließ sie mit
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