Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
unterrichtet hatte. Es würde ihn kaum sonderlich rühren. Zu groß waren die Gräben zwischen ihrer Mutter und ihm gewesen. Ein Räuspern schreckte sie aus ihren Gedanken. Der Pfarrer in seinem schwarzen Talar mit dem weißen, gefältelten Stehkragen gab ihr ein Zeichen. Eine feierliche Aussegnung würde es in Anbetracht der wenigen Trauernden nicht geben. Jella holte tief Luft und folgte dem Geistlichen. Ihr war so schwer ums Herz, auch wenn sie glaubte, schon alle Tränen vergossen zu haben. Bei aller Fantasie konnte sie sich nicht vorstellen, ihre Mutter gleich von Erde bedeckt zu sehen. Es würde ein ärmliches Begräbnis geben. Sie hätte sich nicht mal ein Holzkreuz mit dem Namen ihrer Mutter leisten können, wenn Mia Grosche ihr nicht aus ihrer Suppenschüssel die Kosten dafür vorgestreckt hätte. Jella war ihr sehr dankbar dafür. Draußen vor dem Portal waren nun doch einige Menschen zusammengekommen. Mia Grosche und Oma Grambor aus dem Lebensmittelladen in der Andreasstraße. Außerdem waren noch Gustav aus der Destille und zu ihrer großen Freude auch Heinrich Zille in schwarzem Anzug und Zylinder erschienen. Jella begrüßte die kleine Gesellschaft und setzte sich an die Spitze des Trauerzuges. Nur der auffrischende Wind gab die Begleitmusik in den allmählich bunt werdenden Blättern der Bäume. An einer Umfassungsmauer des Friedhofs lag der Begräbnisplatz. Ein einfach zusammengehauener Sarg aus billigen Holzlatten enthielt Rachels sterbliche Überreste. Sobald alle um das Grab versammelt waren, gab der Pfarrer den vier Friedhofsbediensteten das Zeichen, den Sarg in die Erde zu lassen. Mit geübten Griffen packten die Männer die vier Enden der beiden Seile, die bereits unter der windigen Holzkiste lagen, und hoben ihn an. Ruckweise ließen sie die Mutter in die Tiefen des Grabes hinab. Jella hätte es am liebsten verhindert, aber sie war unfähig, sich zu regen. Eine eiskalte Eisenklammer aus Schmerz umspannte ihr Herz. Sie starrte einfach nur auf die Holzkiste, die das enthielt, was einmal ihre Mutter gewesen
war, und ließ es geschehen. Oma Grambor begann sich lautstark zu schnäuzen, während Mia in lautes Geflenne ausbrach. Die Worte des Pastors perlten wie Wasser an ihr ab. Sie waren wohlmeinend, drangen aber nicht in ihr Inneres vor. Wie sollten seine Worte sie auch berühren? Er hatte Rachel nicht gekannt und heuchelte deshalb auch keine falsche Anteilnahme. Betäubt stand Jella schließlich allein vor dem Grab, schaute hinunter in seine Tiefen, bis sie sich schließlich dazu überwand, das Büschel Feldblumen, die sie auf den Schotterhalden eines unbebauten Grundstücks gesammelt hatte, hineinzuwerfen.
»Ich hab ja immer gewusst, dass das mit dem Husten schlecht enden tut«, jammerte Mia lautstark und umarmte Jella spontan. »Meinen seligen Gottfried hat es auch so dahingerafft! Wenn du mal’nen Kaffee willst und dich ausweinen musst, kannst du gern kommen.« Sie heulte jetzt richtig los, so als wäre ihre eigene Mutter gestorben. Jella registrierte es nicht einmal. Sie stand immer noch da wie festgefroren. Auch Oma Grambors Beileid, das unverständliche Gegrunze von Gustav und selbst das aufmunternde Schulterklopfen Heinrich Zilles nahm sie ohne Regung zur Kenntnis. Schließlich blieb sie allein zurück.
Ihr war, als erwache sie aus einem langen Traum. Langsam wanderte ihr Blick in die Umgebung, saugte jede Einzelheit in sich auf, als müsse sie sich alle Details für immer einprägen. Die Gräber mit ihren kleinen Gedenktafeln zu beiden Seiten. Das graue Mäuerchen vor dem offenen Grab. Die Trauerweiden und Birken am Rande des Kiesweges, die einen Teil des Grabs überschatteten.
»Jetzt wirst du für immer hier sein.«
Der Kloß in ihrem Hals hinderte sie am Weiterreden. Sie räusperte sich. »Und ich muss meinen Weg allein gehen.«
Die Worte bedeuteten eine erste Erkenntnis, obenhin gesagt und noch nicht in ihrer Seele verankert. Aber sie waren auch ein neuer Anfang.
In diesem Augenblick erklang lautes Flügelklatschen in den Wipfeln der Bäume über ihr. Eine Schar von Krähen war aus dem Nichts in die Stille des Friedhofs gedrungen. Ihr Gekrächze war laut und schrill, während sie ihre schwarzen Leiber auf die zarten, biegsamen Äste der Weiden zu setzen versuchten. Ein empörtes Durcheinander folgte, bis sich die Krähenschar wippend und krächzend niedergelassen hatte. Doch kaum war Ruhe eingekehrt, setzten neue Windböen ein. Erschreckt flogen die schwarzen Vögel auf,
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