Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
für Berlin ganz neuartigen Stil zeugten. Sie war wie in Trance. Seit dem Tod ihrer Mutter fühlte sie sich nicht mehr eins mit sich. Alles hatte sich in ihr aufgelöst. Die Kirche war leer und verlassen, und in Jellas Innerem sah es nicht anders aus. In wenigen Minuten würde die Beerdigung stattfinden. Jella rechnete kaum mit anderen Besuchern. Mit Bitterkeit erinnerte sie sich daran, dass sie Ausgestoßene und Außenseiter waren, selbst
jetzt, selbst im Tod. Der katholische Priester hatte sich geweigert, Rachel in geweihter Erde zu beerdigen. »Ihre Mutter war sicherlich eine hochanständige Frau«, hatte der Priester bedauert. »Leider sind mir in diesem Fall die Hände gebunden. Ihre Frau Mutter war vor den Augen Gottes und des Gesetzes nicht verheiratet, obwohl sie ein Kind zur Welt gebracht hat. Damit hat sie kein Anrecht mehr auf die Sakramente und kann somit nicht im Schutze der Mutter Kirche beerdigt werden. Es tut mir leid!« Jella hatte nur bitter aufgelacht. Es hätte keinen Sinn gehabt, ihn daran zu erinnern, dass Rachel immer eine treue Katholikin gewesen war, die die sonntäglichen Gottesdienste regelmäßig besucht und in den vielen Jahren, die sie am Tiergarten gewohnt hatten, auch in der dortigen Gemeinde ehrenamtlich engagiert gewesen war. Stattdessen hatte sie grußlos den Raum verlassen. Es war nicht leicht gewesen, ihrer tiefgläubigen Mutter doch noch ein christliches Begräbnis zu verschaffen. In ihrer Not hatte sie sich an ihren Mentor Heinrich Zille gewandt. Er hatte ihr mit einem Augenzwinkern geraten, es doch bei der Konkurrenz zu versuchen. »Jott ist Jott«, hatte er gesagt. »Ob er nu von den Römischen oder von den Lutherischen anjebetet wird, det is ihm allemal schnuppe!« Jella hatte sich die Worte zu Herzen genommen und war zum evangelischen Pfarrer der Auferstehungskirche gegangen. Dort hatte man sie mit ihrem Anliegen nach einigem Hin und Her tatsächlich wohlwollend aufgenommen und die Beerdigung für den darauf folgenden Tag festgesetzt.
Im Grunde genommen war es ihr völlig egal gewesen, welche Kirche ihre Mutter beerdigte. Sie wollte nur, dass sie in geweihter Erde begraben wurde, weil sie wusste, wie wichtig ihrer Mutter dies gewesen wäre. Rachel hatte zwar die meiste Zeit ihres Lebens in Deutschland verbracht, aber im Grunde ihres Herzens war sie immer eine tiefgläubige, irische Katholikin geblieben. Jella bedauerte zutiefst, dass ihre Mutter ihr nie verraten hatte, weshalb
sie vor vielen Jahren Irland verlassen hatte. Sie wusste nur, dass sie noch einen erheblich jüngeren Bruder besaß und dass ihr Vater ein genauso sturköpfiger Mann gewesen sein musste wie Baron von Sonthofen, ihr Großvater väterlicherseits. Früher war sie notgedrungen in beide Kirchen gegangen. Ihre Mutter und ihr Großvater hatten sich zähneknirschend darauf geeinigt, dass sie abwechselnd jeden Sonntag einmal mit ihrer Mutter die katholische Messe und die Woche darauf mit dem Großvater einen protestantischen Gottesdienst besuchte. Obwohl Jella wie Rachel getaufte Katholikin war, hatte sie nie allzu große Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen feststellen können. Bei den Katholiken mochte sie das Feierliche, die schön ausgestalteten Kirchen mit den bunten Heiligenbildern und die tröstenden, manchmal auch erhebenden, immer wiederkehrenden Rituale, die einen Gottesdienst begleiteten. Außerdem fand sie es tröstlich, dass Gott einem Gläubigen durch die Absolution alle Sünden vergab. Bei protestantischen Versammlungen schätzte sie die Klarheit und Offenheit der Predigten und gemeinsamen Gebete. Ihr gefiel auch der Gedanke, selbst für sich verantwortlich zu sein und somit auch die Toleranz aufzubringen, ihrer Mutter die letzte Ehre zu erweisen, obwohl sie außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen stand.
Eingehüllt in ihre Trauer nahm Jella in dem kargen Kirchenraum Platz und betrachtete das schmucklose Kreuz, das über dem Altarraum hing. Der letzte Wunsch ihrer Mutter ging ihr nicht aus dem Kopf. Alles in ihr sträubte sich, noch einmal dem alten Despoten gegenüberzutreten. Insgeheim machte sie ihn für Rachels Krankheit verantwortlich. Wäre seine Sturheit nicht gewesen, hätten sie niemals in das verkommene Loch in der Andreasstraße ziehen müssen und Rachel wäre nie und nimmer krank geworden. Nein, Jella, wollte dem alten Tyrannen nie wieder unter die Augen treten. Ihr einziges Zugeständnis war gewesen, dass sie den Großvater schriftlich
von Rachels Tod
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