Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Jagd. Alle freuten sich, weil es Herbst war, in dem es Nahrung im Überfluss und Wasser zur Genüge gab. Die Bäuche der Buschmänner waren dick und kugelrund, so als hätte jeder von ihnen eine Tsamma-Melone als Ganzes verschluckt. Wie es ihre Art war, hatten die kleinwüchsigen Joansi so viel gegessen, bis ihnen übel geworden war. Während sie aßen, dehnte sich ihre elastische Bauchhaut wie die Blase eines Kudus. Satt, wie sie nur selten waren, hatten sie nun das Bedürfnis nach alten Geschichten. In lockeren Grüppchen saßen und lagen sie um mehrere Feuerstellen herum und hörten den Geschichtenerzählern ihres Volkes zu. Das flackernde Licht der Feuerstellen spiegelte sich in ihren freundlichen, satten Gesichtern wider, während rings um sie herum die schwarze Nacht lauerte.
»Nun mach es doch nicht so spannend«, meckerte Kao, ein vorwitziger
Junge von vielleicht sieben Jahren. »Erzähl uns endlich, wie der Himmel entstanden ist.«
Nakeshi sah Kao streng an, bis er verschämt seinen Kopf wegdrehte. Es war ungehörig, einen Geschichtenerzähler zu unterbrechen. Dann fuhr sie in ihrer melodischen, von Klick- und Schnalzlauten durchzogenen Sprache fort, die Geschichte des Himmels zu erzählen:
»Früher haben die Sonne, der Mond und der Hase zusammengewohnt. Lange Zeit ging das sehr gut, denn jeder achtete den anderen und nahm auf ihn Rücksicht. Eines Tages bekamen Frau Mond und Herr Hase jedoch Streit. Sie beschimpften einander immer heftiger, bis Frau Mond schließlich zum Beil griff und dem Hasen die Schnauze auseinanderschlug. Jeder von euch weiß, dass sich die Geschichte so zugetragen hat, denn immer noch trägt der Hase eine gespaltene Schnauze.« Nakeshi sah in die Runde und stellte befriedigt fest, dass alle ganz begierig waren, das Ende der Geschichte zu hören. »Der Hase aber ließ sich diesen Angriff nicht gefallen. Blitzschnell, wie es seine Art ist, sprang er hoch und zerkratzte dem Mond sein Gesicht. Auch das könnt ihr heute noch sehen.« Sie deutete an den Vollmondhimmel, der ihnen sein kraterdurchfurchtes Antlitz zeigte.
»Eje, eje, oje, ohh«, murmelten einige zustimmend.
»In diesem Moment kam die Sonne wieder nach Hause. Sie sah das zerkratzte Gesicht des Mondes und wurde böse. ›Jetzt haben wir genug von der Erde<, sprach sie zum Mond. ›Jetzt gehen wir hinauf in den Himmel, damit der Hase allein bleibt! Von dort oben werde ich ihn brennen, und ich werde sehr heiß werden, damit er tags nicht herumlaufen kann, wie er will.‹ Darauf erwiderte der Mond: ›Es ist gut so, ich gehe nachts und bringe die Kälte, sodass der Hase friert, wenn er sein Futter sucht.‹ Seit dieser Zeit sind Sonne und Mond am großen Himmel.«
»So ist es gewesen«, bekräftigten einige der Alten. »Und es wird sich auch nicht mehr ändern.«
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, quengelte Kao. »Erzähl, weshalb der Himmel mal blau und mal schwarz ist und wie die Sterne ans Firmament kommen.« Nakeshi lachte herzlich. Es machte ihr Spaß, mit welchem Eifer Kao bei der Sache war. Wie alle Buschmänner kannte er die Geschichte natürlich, und trotzdem war er begierig darauf, sie immer wieder zu hören. Sie laut am Lagerfeuer zu hören beschwor jedes Mal einen besonderen Zauber herauf, der die Gemeinschaft der Buschleute stärkte.
»Der Himmel ist blau, weil Kauha ihn so gewollt hat. Blau ist die Farbe der Weisheit und des Lebens. Wenn die Sonne müde wird, kommt jedoch die große Kälte, dann holen Herr Sonne und Frau Mond ihre schwarzen Decken hervor und bedecken den Himmel damit. Das, was ihr als Sterne auf ihren schwarzen Decken seht, sind in Wirklichkeit glitzernde Harzstückchen von unseren Bäumen, die die beiden in Säckchen von der Erde mitgebracht haben. Jedes Harzstückchen steht für einen Menschen. Sie erinnern Sonne und Mond daran, dass sie einmal auf der Erde gelebt haben. Die beiden haben ihre Säckchen über den Decken ausgeleert, wo sie haften geblieben sind. Dort bilden sie Bilder und Muster, die aufgefüllt sind mit Kauhas Magie. Jedes Sternbild steht für eine größere oder kleinere Gruppe von Menschen, die sich besonders nahe stehen. Niemand weiß, wer seine Sternengeschwister sind, aber wenn du einem von ihnen begegnest, dann erkennst du ihn sofort.«
»Debe und Xao sind Sternenbrüder«, mischte sich Besa, eine der älteren Frauen, erklärend ein. Sie hatte die Geschichte still im Hintergrund mitverfolgt. »Sie leben an zwei Orten, die viele Tagesreisen voneinander
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