Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
wollte und dürfte, könnte ich Ihnen noch ganz andere Dinge zeigen. In den Labors hier im Museum werden sogar verstorbene Menschen lebensecht präpariert. Erst vor wenigen Wochen wurden dem Museum die sterblichen Überreste einer Hottentottin aus Afrika überstellt. Leider ist sie eine alte Frau gewesen, aber aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse - unter Zuhilfenahme des alten Wissens der Ägypter - wurde ihre Haut vom Rumpf getrennt und in Formaldehyd eingelegt, während man ihren Torso von seinen sterblichen Überresten reinigte, mit Stoffresten auffütterte und schließlich die Haut wieder über...«
»Um Gottes willen, hören Sie auf!«, rief Jella entsetzt. »Sie wollen doch wohl nicht im Ernst andeuten, dass man hier Menschen ausstopft wie Puppen?«
»Keine richtigen Menschen, nur Neger. Da ist immerhin noch ein großer Unterschied.«
Jella schoss bei der bloßen Vorstellung das Blut in den Kopf. Sie war entsetzt und gleichzeitig zutiefst betroffen. Die Begegnung
mit der kranken Hottentottin in Dr. Hagenstolz’ Panoptikum kam ihr wieder in den Sinn. Die ausgestopfte Frau im Museum war doch nicht etwa...?
Jella hatte es plötzlich sehr eilig. Ihr Bedarf an Monstrositäten war für heute gedeckt. Ziemlich abrupt verabschiedete sie sich von Knorr und seinen Erklärungen und verließ das Museum.
Doch die Vorstellung, dass man Hagenstolz’ Hottentottin ausgestopft haben könnte, ließ sie nicht los. In der Nacht plagten Jella wilde, fantastische Träume. Sie flackerten wie Blitze eines Gewitters in ihr auf, erleuchteten kurz und hell ihr Bewusstsein, bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwanden.
Blitz - Die alte Hottentottin erscheint ihr und lockt sie mit sich fort. Sie führt Jella durch dürres Land. In der Landschaft stehen ausgestopfte Tiere, bewegungslos und starr. Jella fühlt die Hitze der sengenden Sonne. Sie eilt der immer schneller werdenden alten Frau hinterher. Sie darf die Alte nicht aus den Augen verlieren. Sie rennt und rennt. Die Frau wird immer kleiner. Sie verschwindet schließlich ganz. Sie ist allein.
Blitz - Die alte Frau verwandelt sich in das Buschmannmädchen. Jella erkennt sie an dem schelmischen Lächeln. Sie freut sich und fühlt eine innige Zuneigung zu dem Mädchen. Doch eine unsichtbare Wand trennt sie. Sie möchte zu ihr, doch es ist kein Durchkommen. Sie steht hinter einer gläsernen Wand und beobachtet, wie das Mädchen mit einer Art Holz in der Erde gräbt. Sie ist so in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht merkt, wie sich ihr ein junger Buschmann nähert und ihr von hinten die Augen zuhält. Das Mädchen schreit, aber als sie den jungen Mann erkennt, errötet sie unter ihrer braunen Haut. Nicht weit weg steht ein anderer, ein älterer Mann. Er beobachtet die Szene mit großer Wut und Eifersucht.
Blitz - Das Mädchen und der junge Buschmann streifen durch
die Wildnis. Sie sammeln Feldfrüchte. Sie graben gemeinsam ein Loch. Nachdem sie armtief gegraben haben, ziehen sie ein riesengroßes Ei aus dem Sand. Ein Holzstückchen steckt darin. Der junge Mann zieht es heraus und reicht dem Mädchen das Ei. Das Mädchen trinkt einen winzigen Schluck und reicht das Gefäß dem jungen Mann. Auch er trinkt. Dann vergraben sie es wieder im Sand. Beide lächeln. Da zeigt das Mädchen auf einen Felsen. Der Blick des jungen Mannes folgt ihrem Arm. Sie sehen einander erschrocken an. Hinter einem Busch liegt ein Fremder. Er ist verletzt. Sie bauen eine Trage und nehmen ihn mit.
Blitz - Es ist Nacht. Die Buschmänner haben gefeiert. Ihre Bäuche sind dick und rund. Sie sind satt und müde. Das Mädchen erzählt ihnen eine Geschichte. Ein kleiner Junge stellt Fragen. Jella möchte die Geschichte so gern hören, aber sie versteht kein Wort.
Modellsitzung
Jella schwitzte. Während draußen die eisige Winterkälte Eisblumen an die Fenster malte, eilte sie wie jeden Abend unermüdlich zwischen den Tischen der Destille und der Küche hin und her. Zielsicher bahnte sie sich Wege durch die überfüllte Kneipe und brachte den durstigen Kehlen krügeweise Bier und tellerweise Eisbein mit Erbsenpüree oder Bockwurst mit Senf.
Gegen halb elf verließen die meisten Gäste die Letzte Instanz und machten sich mehr oder minder alkoholisiert auf den Heimweg. Nur eine kleinere Gruppe von Männern hockte noch an einem der Tische beisammen und bestellte in weinseliger Stimmung noch eine letzte Runde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen tranken die vier Männer teuren
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