Der Ruf der Kiwis
gehörte es dazu, Gloria in Po und Brüste zu kneifen. Ihr war das unangenehm, aber sie hatte so etwas bei Mägden und Knechten schon gesehen. Wenn es ihm Freude machte, würde sie es wohl aushalten.
»Eins muss allerdings klar sein: Ich hab drei Nummern die Woche frei, und sonst ist auch der halbe Ertrag für mich. Schließlich trage ich das größte Risiko.« Der Koch fixierte Harry streng.
»Das größte Risiko tragen die, mit denen sie die Kajüte teilt«, widersprach Harry. »Dich kann sie getäuscht haben. Schließlich gehste deinen Küchenjungs doch wohl nicht an die Wäsche, oder?«
Der Koch machte eine drohende Geste.
Gloria sah sich in der Kombüse um, während die Männer weiter verhandelten. Sie hätte ihren Pullover gern ausgezogen, denn es war eng und brüllend heiß. Auch wirkten die Arbeitsplatten, Töpfe und Pfannen nicht sonderlich sauber. Der Smutje brauchte wirklich Hilfe. Neben der schmierigen Küche befand sich ein ebenso wenig einladender Speiseraum für die Mannschaft. Alle auf einmal, vermutete Gloria, fanden dort keinen Platz. Andererseits kamen moderne Dampfschiffe mit relativ wenig Leuten aus. Und die
Mary Lou
war nicht das größte Schiff. Alles unter Deck war eng und dunkel; das Leben in den Mannschaftsunterkünften musste die Hölle sein. Aber besser in stickiger Enge auf dem Weg nach Neuseeland, als gefangen in Kura-maro-tinis Luxussuiten in Grand Hotels oder Williams Stadthaus ...
»Ich kann meine Haare abschneiden«, sagte sie ruhig.
Die beiden Männer schienen sich inzwischen geeinigt zu haben.
»Also schön, ich sag dem Zahlmeister, dass der Bursche morgen kommt – oder besser erst übermorgen früh, gleich vor der Abfahrt. Kannste um fünf Uhr hier sein, Jack?«, fragte der Smutje mit anzüglichem Grinsen.
Das Mädchen nickte ernsthaft. »Ich bin pünktlich.«
»Wo kann ich mich denn jetzt umziehen?«, fragte Gloria schüchtern, als sie, immer noch in Harrys Schlepptau, den Frachter
Mary Lou
verließ. Ihr war eben siedend heiß eingefallen, dass ihr das Hinterzimmer des Altkleidersammlers Samuel sicher nicht noch einmal als Umkleide zur Verfügung stand.
Harry musterte sie erstaunt. »Kannste nicht so nach Haus? Haste kein eigenes Zimmer?«
Gloria wurde rot. »Ja ... nein ... also, so kann ich mich im Hotel nicht blicken lassen, ich ...«
»Im Hotel!« Harry grinste. »Vornehmer Ausdruck. Klingt ja fast nach Nobelpuff. Aber du hast auch mehr Klasse als die anderen Mädchen. Rennst du vor irgendwas weg, Kleine? Sieht verdammt so aus. Aber mir soll’s egal sein. Lass dich bloß nicht erwischen!«
Gloria fühlte sich erleichtert. Trotzdem war es sicher besser, wenn Harry ihre wahre Identität nicht erfuhr.
Der kleine Matrose dachte jetzt erst mal über das Kleidungsproblem nach.
»Das«, lachte er schließlich, »schreit nach kollegialer Hilfe! Schauen wir doch mal, wo Jenny sich rumtreibt.«
Gloria folgte ihm irritiert durch verschlungene Gassen rund um die Docks. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, langsam ins Rotlichtviertel abzudriften, aber der Laden von Samuel war auch schon nahe dran gewesen. Dennoch schluckte sie, als sie schließlich mehrere Mädchen auf der Straße sah. Noch nicht viele, schließlich war heller Mittag. Doch eine abgehärmte Blonde mit ähnlichem Nagetierausdruck wie Harry präsentierte sich mit halb offenem Mieder vor einer Krabbenküche, aus der es nach ranzigem Fett roch.
»Harry, alter Junge! Auch mal wieder im Lande? Bist du die Schlitzaugen in Kanton leid?« Das Mädchen lachte und umarmte Harry beinahe schwesterlich. Dann warf sie einen Blick auf Gloria in ihrer Verkleidung als Schiffsjunge. »Und was bringst du da an? Einen Frischling! Wie süß! Wo habt ihr denn das Babyface aufgegriffen? Ein Landei?«
Harry verdrehte die Augen. »Jenny, Süße, wenn ich dir den ins Bett leg, erlebste die Überraschung deines Lebens! Na, die Täuschung klappt jedenfalls perfekt, wenn nicht mal du was merkst. Dabei siehst du wahrscheinlich pro Woche mehr Männer als unser alter Zahlmeister im Jahr ...«
»Wie die Natur sie schuf, Alter!«, kicherte Jenny. »Was ist nun dran an dem Knaben? ... He, Moment mal!«
Sie wurde schlagartig ernst, als sie Gloria näher musterte.
»Der Knabe ist ein Mädchen! Schleifst du mir die Konkurrenz jetzt schon an meinen Arbeitsplatz?«
Harry hob beschwichtigend die Hand. »Jenny, keine kommt dir gleich. Aber die da ... die ist mehr vom fahrenden Gewerbe. Jedenfalls wird sie uns auf dem Schiff
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