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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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England geholt hatten, hatten sie nie daran gedacht, sie zurückzuschicken. Sie sollte auf immer und ewig bleiben und ... nun, irgendwann würde sie Kiward Station erben, wenn Kura es nicht vorher verkaufte. Und das würde sie spätestens dann tun, wenn Grandma Gwyn starb ...
    Gloria ertappte sich bei dem Gedanken, ihre Eltern totzuwünschen. Ein Unfall vielleicht, oder das Attentat eines Verrückten. Aber das war natürlich illusorisch. Kura war Mitte dreißig; sie konnte noch mehr als vierzig Jahre leben.
    Weitere vierzig Jahre fern von Kiward Station? Gloria sah eine endlose Abfolge von Demütigungen vor sich: »Ist das Mrs. Martyns Zofe?« – »Nein, Sie werden es nicht glauben, es ist ihre Tochter!« – »Dieser Trampel? Also von der Mutter hat sie ja gar nichts ...«
    Gloria hatte das kurze Gespräch an diesem Morgen in der Hotellobby gehört. Es schmerzte sie inzwischen nicht mehr jedes Mal. Sie war daran gewöhnt. Aber weitere vierzig Jahre?
    Gloria dachte an die Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht vor San Francisco, zu der sie am Tag zuvor noch mit leichtem Grusel hinübergeblickt hatte. Aber verglichen mit ihrem täglichen Spießrutenlaufen musste der Aufenthalt dort ein reines Vergnügen sein. Gloria holte tief Luft. Sie musste irgendetwas sagen. Aber dann schwieg sie wieder. Es gab ohnehin nichts, was ihre Eltern umstimmen würde. Reden nützte nichts. Sie musste handeln, und zwar allein.
     
    Am nächsten Morgen wanderte Gloria zum Meer, blind für die Schönheit der Stadt. Dabei herrschte Frühling in Kalifornien, die Sonne schien golden vom Himmel, und in den Gärten und entlang der Boulevards blühten Blumen. Hier an der Westküste war es bereits sommerlich warm – ein verwirrendes Gefühl für Gloria, die bei »Westküste« eher an ungemütliches, regenreiches Klima dachte. Auf den Straßen San Franciscos herrschte reges Leben. Man sah Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten. Gloria fielen vor allem die vielen schlitzäugigen Chinesen oder Japaner auf. Die meisten von ihnen wirkten genauso scheu und verängstigt wie sie selbst; das Mädchen meinte fast, ihre Fremdheit spüren zu können. Andererseits hatten sie hier ein eigenes Stadtviertel – Chinatown. Ein paar der Tänzerinnen waren zum Essen da gewesen und hatten sich damit gebrüstet, selbst vor geröstetem Hund nicht zurückzuschrecken. Gloria wurde schon bei dem Gedanken übel.
    Schließlich erreichte sie das Hafenviertel, das zum Glück nicht so dunkel und verwinkelt war wie in London oder New York. Der Hafen von San Francisco war weitläufig und modern. Die San Francisco Bay und das Golden Gate schenkten der Stadt ein natürliches Hafenbecken, und die Docks, Hafengebäude und Anlegestellen waren nach dem Erdbeben und dem großen Feuer 1906 renoviert, vielfach auch gänzlich erneuert worden. Es gab Zuganbindungen und einen großen Handelshafen, an dem Güter aus aller Welt anlandeten und von Menschen aus aller Welt gelöscht wurden. Aufgeschlossene Besucher hätten das aufregend gefunden, aber für Gloria war es eher beängstigend. Wie sollte sie sich hier zurechtfinden? Wen sollte sie fragen, wenn diese schwarz- oder gelbhäutigen Menschen womöglich nicht mal Englisch sprachen?
    Dann aber erkannte sie Passagierdampfer. Dies mussten die Docks sein, an denen Einwandererschiffe anlegten; zumindest lagen hier die Büros der zuständigen Behörden. Gloria hatte gehört, dass in San Francisco hauptsächlich Neubürger aus Frankreich und Italien ins Land kamen, obwohl früher, zu Zeiten des Goldrausches, auch viele Iren und andere Bürger Großbritanniens das Golden Gate angesteuert hatten. Aber egal, wer hier einwanderte, Gloria zog es fort. Und die Überseedampfer waren ihr erstes Ziel. Hier gab es stets eine luxuriöse Erste Klasse mit Dutzenden von Bediensteten. Die meisten davon waren zwar Männer, aber Gloria konnte sich nicht vorstellen, dass die Stewards Betten machten und Kartoffeln schälten. Es musste auch Zimmer- und Küchenmädchen geben!
    Gloria hoffte, auf einem solchen Dampfer anheuern und sich die Überfahrt verdienen zu können. Wenn sie nur wüsste, welches der Schiffe nach Neuseeland fuhr ... Unsicher strich sie an den Docks entlang. Geschäftige Menschen liefen hier genug herum, aber Gloria konnte sich nicht überwinden, jemanden anzusprechen. Plötzlich blieb ein schlaksiger junger Mann in Matrosenkleidung vor ihr stehen und fixierte sie neugierig.
    »Na, Hübsche? Haste dich verlaufen? Hier ist nichts zu

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