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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Aber Jenny schien jetzt ihr angeblich so großes Herz zu entdecken.
    »Haste denn wenigstens den Schatten einer Ahnung davon, wo die kleinen Kinder herkommen?«, erkundigte sie sich.
    Gloria errötete wieder. »Ja ... nein ... also, ich weiß, wie Schafe und Pferde ...«
    Jenny lachte schallend. »Tja, und gestern wird Harry dir wohl gezeigt haben, wie’s beim Menschen geht. Aber nun werd mal nicht gleich blass, Kleine, da ist nicht jeder Schuss ein Treffer. Man kann auch ein bisschen was tun, um’s zu verhindern. Vorher und nachher. Aber nachher ist teuer und riskant, und auf See gibt’s keine Engelmacher ... Ich sag dir was, Kleine: Hier hure ich mir heute keine Mahlzeit mehr zusammen, nicht bevor’s dunkel wird. Wie wär’s, wenn du mich zu ... sagen wir mal, ’ner guten Krabbensuppe und Sauerteigbrot einlädst, und dafür erzähl ich dir, was ein Mädchen wissen muss ...«
    Gloria zögerte. Sie wollte Jennys widerliche Geheimnisse eigentlich gar nicht teilen. Andererseits hatte sie noch ein paar Cent, und das Mädchen vor ihr war offensichtlich hungrig. Viel schien ihr Gewerbe nicht einzubringen. Gloria verspürte Mitleid. Schließlich nickte sie. Jenny lächelte sie offen an und ließ sie zwei Zahnlücken sehen.
    »Gut, dann komm ... nein, nicht dieser Schuppen, da gibt’s bessere Lokale.«
    Tatsächlich saßen die Mädchen kurze Zeit später in einer zwar dunklen und engen, aber doch relativ sauberen Garküche und ließen sich eine Spezialität San Franciscos schmecken: Krabben mit Sauerteigbrot. Das Essen war überraschend gut. Zu ihrer Verwunderung begann Gloria sogar, Jennys Gesellschaft zu genießen. Das blonde Freudenmädchen verspottete sie nicht, sondern erklärte ihr nur gelassen die Besonderheiten ihres Berufes.
    »Lass dich nicht auf den Mund küssen, das ist eklig ... und wenn sie’s von hinten wollen oder Französisch, dann lässt du dir das extra bezahlen. Du weißt, was Französisch ist?«
    Gloria errötete zutiefst, als Jenny es verriet, aber das Mädchen machte sich nicht einmal darüber lustig. »So hab ich auch mal geguckt, Süße. Ich bin schließlich nicht im Freudenhaus aufgewachsen. Ich komm vom Land ... wollt ehrbar heiraten. Aber mein Daddy mochte mich zu gern, wenn du verstehst, was ich meine ... Mein Liebster fand es schließlich raus ...« Sie sprach nicht weiter, und Gloria erwartete, Tränen in Jennys Augen zu sehen, aber die hatte scheinbar längst vergessen, wie man weinte.
    Das Mädchen verdrückte drei Portionen Krabbensuppe und klärte Gloria dabei beiläufig über den weiblichen Zyklus auf. Außerdem darüber, wie man eine Empfängnis verhütete. »Besorg dir Gummis, das ist noch das Beste. Aber die Kerle mögen sie nicht aufziehen, du musst drauf bestehen ... und sonst ... die Hure, die mich angelernt hat, schwor auf Essigspülungen. Ist aber nicht sicher ...«
    Irgendwann errötete Gloria nicht mehr und wagte zum Schluss sogar eine Frage zu stellen. »Was macht man, damit es nicht so wehtut?«
    Jenny lächelte. »Salatöl, Kleine. Ist wie mit Maschinen, Kind, Öl macht gängig.«
     
    Am Abend stahl Gloria Essig und Öl von der Tafel des Hotels St. Francis; außerdem legte sie eine Schere bereit und nahm klopfenden Herzens ihren Reisepass aus der Schublade, in der ihr Vater die Unterlagen verwahrte. Natürlich fand sie lange keinen Schlaf, zumal ihre Eltern erst spät in der Nacht von einem Empfang heimkehrten. Gloria machte sich wieder einmal Sorgen. Was, wenn sie erst im Morgengrauen kamen? Bei ihrem üblichen Ungeschick mochte sie ihnen genau in die Arme laufen. William und Kura erschienen jedoch gegen drei, beide fröhlich und angetrunken.
    Als Gloria sich um vier Uhr morgens hinausschlich, schliefen sie tief und fest. Auch der Nachtportier war nicht gerade munter. Gloria entkam durch die Lobby, als er sich eben einen Tee holte. Sie trug bereits Männerkleidung und ihr Bündel mit den Sachen zum Wechseln. Hätte der Mann sie entdeckt, wäre sie weggerannt wie ein Dieb, der von der Straße hereingekommen war. Als Mädchen hätte Gloria sich gefürchtet, nachts durch die Stadt zu wandern, aber sie merkte gleich, dass ihr als Junge keine neugierigen Seitenblicke folgten. Schließlich verzog sie sich in eine stille Wohnstraße, in der um diese Zeit alles schlief. In einer Mauernische schnitt sie sich die Haare – ohne jedes Bedauern. Sie erinnerte sich, das früher schon einmal getan zu haben. Die Strähnen warf sie in eine Mülltonne. Weg mit Gloria! Hier kam

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