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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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lediglich ein paar ältere Leute saßen an den Tischen, unterhielten sich oder lasen Zeitung. Von diesen Greisen schien keine Gefahr auszugehen. Gloria entspannte sich. Und zu ihrer Überraschung gab es auch nicht nur kalte Speisen, sondern ein paar der Gäste löffelten ein dickes Stew. Vielleicht Stammgäste, die hier täglich speisten? Gloria bat schüchtern um eine Mahlzeit, indem sie auf das Essen der anderen wies. Sie sollte es eigentlich gewöhnt sein, in Restaurants zu dinieren. Die Martyns hatten die angesagtesten Etablissements Europas und Amerikas frequentiert. Aber Gloria hatte die Aufmerksamkeit der Kellner und erst recht das Interesse der anderen Gäste an ihrer berühmten Mutter immer gehasst.
    An diesem Ort war jedoch keine besondere Etikette vonnöten. Die Bedienung war freundlich, aber nicht redselig. Sie brachte Gloria eine große Schüssel Stew und beobachtete wohlgefällig, wie der vermeintliche junge Mann das Essen in sich hineinschlang.
    Mit beinahe verschwörerischem Lächeln holte sie ihm einen Nachschlag.
    »Hier, Kleiner, du bist ja ganz ausgehungert! Was hast du gemacht? Bist du von Indonesien bis hierher geschwommen?«
    Gloria wurde glühend rot. »Woher wissen Sie, dass ...?«
    »Dass du von einem der Schiffe kommst? Das ist nicht schwer zu erraten. Erstens ist die Stadt hier ein Dorf. Einen so hübschen Jungen wie dich hätt ich schon mal gesehen. Und dann siehst du auch aus wie ein Seemann, der gerade von Bord kommt. Dein Haar schreit nach dem Barbier, Kleiner! Mit dem Bartwuchs hapert’s ja noch ...« Die Frau lachte. Sie war rundlich, rotgesichtig und offensichtlich harmlos. »Aber ein Bad hast du genommen. Das spricht für dich. Und du hängst noch nicht am Whiskey. Alles sehr lobenswert. Erste Heuer?«
    Gloria nickte. »Aber es war schrecklich«, brach es aus ihr heraus. »Ich ... ich möchte jetzt an Land bleiben.«
    »Wirst seekrank?« Die Frau nickte verständnisvoll. »Als ich in deinem Alter war, sind wir von England nach Down Under ausgewandert. Meiner Treu, ich hing die halbe Reise über der Reling! Zum Seemann muss man wohl geboren sein. Was willste jetzt machen?«
    Gloria zuckte die Schultern. Dann nahm sie allen Mut zusammen.
    »Wissen Sie vielleicht, wo ich ... wo ich einen Platz zum Schlafen finde? Viel Geld habe ich nicht, ich ...«
    »Kann ich mir denken, dich ham sie für ’n paar Cent angeheuert, die Gauner! Und dann nicht mal ordentlich gefüttert, bist ja nur noch Haut und Knochen. Von mir aus kannste morgen wiederkommen, ich geb dir ’n gutes Frühstück. Hatte selbst ’nen Jungen wie dich, aber der ist jetzt groß und beim Eisenbahnbau. Da verdient man nicht viel, aber ihm gefällt’s, dass er ein bisschen rumkommt. Und schlafen ... der Reverend von der Methodist Church hat ein paar Wohnstätten für Männer. Wer kann, macht ’ne kleine Spende, aber wenn du das Geld nicht hast, sagt auch keiner was. Nur beten musste natürlich. Morgens und abends ...«
    Gloria hatte seit Monaten nicht mehr gebetet, auch nicht vor ihrer unseligen Reise. William und Kura Martyn legten keinen Wert darauf, dass ihre Tochter den Gottesdienst besuchte. Sie selbst gingen nicht zur Kirche. Und Gloria hatte auch den Gottesdienst in Sawston nur widerwillig besucht. Bei jedem Blick auf Reverend Bleachum hatte sie sein Bild in der Sakristei vor Augen – ein Geistlicher mit heruntergezogener Hose über einer Frau aus der eigenen Gemeinde. Zehn Minuten, bevor er einer anderen die Treue schwören sollte. Gloria wusste nicht recht, ob sie an Gott glaubte, aber für die Integrität seiner Diener auf Erden hätte sie keinen Pfifferling gegeben.
    Entsprechend nervös drückte sie sich denn auch in die Kirche an der Knuckey Street, einem noch ziemlich primitiven Bau. Der Reverend, ein großer blonder Mann, hielt eben einen schlecht besuchten Gottesdienst. Beklommen blickte Gloria auf drei abgerissen wirkende Männer in der zweiten Reihe. Waren das die Gäste der Männerpension?
    Gloria betete brav, verzichtete aber aufs Mitsingen beim Schlusschoral. »Jack Arrow« war noch jung, aber den Stimmbruch sollte er schon hinter sich haben. Als die Messe endete, suchte sie den Reverend auf und erzählte stockend die Geschichte der Frau aus der Teestube: Angeblich hatte »Jack«, gebürtiger New Yorker, aus Abenteuerlust auf einem Schiff nach Darwin angeheuert. Der Käpt’n hatte ihn ausgebeutet, die anderen Mannschaftsmitglieder waren unfreundlich ...
    »So wie du aussiehst, hätten sie genauso gut

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