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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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auf dem Absatz herum und rannte davon wie von Furien gehetzt. Sie lief, bis ihr der Atem ausging; dann brach sie auf einer Brücke fast zusammen. Sie führte über einen Fluss, der hier ins Meer mündete. Vielleicht war es auch eine Lagune ... Gloria wusste es nicht, und es war ihr gleichgültig. Aber wie es aussah, kam sie vom Regen in die Traufe. Zwischen Brücke und Hafenmauer flanierten ein paar leicht bekleidete Mädchen.
    »Na, Hübscher? Suchst du noch Gesellschaft für heute Nacht?«
    Gloria floh erneut. Schließlich fand sie sich schluchzend an einem Strand wieder. Womöglich gab es hier Krokodile. Aber im Vergleich zu den zweibeinigen Tieren, denen sie eben entkommen war, erschienen sie ihr harmlos.
    Gloria lag eine Zeitlang zitternd im Sand, aber dann dachte sie nach. Sie musste weg, sie musste Australien verlassen. Aber wie es aussah, war es hoffnungslos, sich auf ehrbare Weise das Geld für die Reise zu verdienen. »Jack« konnte sich mittels Gelegenheitsarbeiten gerade so durchschlagen. Aber an eine Passage nach Neuseeland war nicht zu denken.
    »Du tust einfach das, was du am besten kannst ...« Die zynischen Worte des Stewards.
    Gloria wimmerte. Aber es war nicht zu leugnen: Sie war nie für etwas anderes bezahlt worden als dafür, »nett« zu Männern zu sein. Ohne Harrys zehn Dollar hätte sie nicht überlebt. Und wenn sie auf eigene Rechnung arbeitete, war mit dieser Sache offenbar Geld zu machen. »Der Kerl hat sich eine goldene Nase an dir verdient«, hatten sowohl der Steward von Harry wie auch der junge Heizer von Richard Seaton gesagt. Jenny in San Francisco war ihr allerdings nicht gerade reich erschienen ...
    Gloria setzte sich auf. Es half nichts, sie musste es versuchen. Auch wenn es zweifellos gefährlich war – die anderen Mädchen würden über die Konkurrenz nicht glücklich sein. Andererseits gab es Jenny zufolge viele Dinge, die normale Huren nicht oder nur widerwillig taten. Gloria empfand bei diesen Praktiken zwar ebenfalls Scham, Schmerz und Furcht, aber es gab nichts, was die Männer auf der 
Niobe
 nicht von ihr verlangt hatten. Sie hatte es dort überlebt, und sie würde es auch weiterhin durchstehen.
    Gloria war übel, aber sie durchsuchte »Jacks« Bündel nach dem einzigen Kleid, das sie besaß. Widerwillig zog sie es über und schlenderte auf die Brücke zu.
     

2
    »Nicht jetzt, später!«, zischte Lilian.
    Das unverhoffte Wiedersehen mit Ben brachte ihren Herzschlag zwar eine Sekunde lang aus dem Takt, aber ihr Verstand funktionierte – und ließ sie blitzschnell erkennen, dass hier keine Freudenbekundungen angebracht waren. Ben stand neben Florence und Caleb Biller; er musste der Sohn sein, der eben aus Cambridge zurückgekehrt war! Und zweifellos würden weder die Billers noch Lilians eigener Vater besonders erbaut davon sein, dass ihre Kinder ihre Namen in einen Baum in England geritzt hatten, mit einem Herzchen der Liebe darum.
    Ben begriff nicht ganz so schnell. Kein Wunder, ihm war Lilians Nachname schließlich noch nicht bekannt. Aber hier sorgte jetzt zum Glück der Reverend für Abhilfe. Vielleicht sogar bewusst – auch sein Geist war für rasches Arbeiten bekannt, und er mochte das Aufblitzen in Bens und Lilys Augen bemerkt haben.
    »Ben! Wie schön, dass du wieder da bist!«, begrüßte er den Jungen, gleich nachdem er die üblichen Höflichkeitsfloskeln mit Florence und Caleb getauscht hatte. »Und groß bist du geworden. Die jungen Damen von Greymouth werden sich darum reißen, von dir zum Tanz aufgefordert zu werden. Hier darf ich dir gleich die ersten vorstellen ...« Er wies auf Lilian und die beiden anderen Mädchen, die gerade den Altar geschmückt hatten. »Erica Bensworth, Margaret O’Brien und Lilian Lambert.«
    Erica und Margaret knicksten kichernd, Lilian schaffte nur ein bemühtes Lächeln. Schließlich traf sie eben der kühle Blick Florence Billers. Lilian hatte im Rahmen ihrer Arbeit für ihren Vater ein paar Mal mit ihr zu tun gehabt und wahrscheinlich nicht den besten Eindruck erweckt. Im Gegensatz zu Tims sonstigen Angestellten ließ sie sich nicht einschüchtern; sie stellte Florence zum Beispiel nur dann am Telefon durch, wenn ihr Vater wirklich Zeit und Muße hatte, sich mit ihrem Anliegen zu beschäftigen. Sie hatte keinerlei Hemmungen, ihr Kunden abzuwerben oder Zulieferer zu umgarnen, damit Lambert schneller bedient wurde als Biller – in diesen Zeiten eine unschätzbare Kunst, denn die Wirtschaft brummte, und die Holzhandlungen

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