Der Ruf der Kiwis
Bobby und dieser Kerl aus Otago ... wie heißt er noch? ... dieser Joe, die schnarchen um die Wette.«
Jack lächelte ihm zu. »Nur Jack, Roly. Und wie es aussieht, sollten wir anfangen, uns an den Krach zu gewöhnen. Die Jungs werden in den nächsten Nächten kaum damit aufhören.«
Roly verdrehte die Augen und schwemmte eine Lache Erbrochenes über Bord. »Jedenfalls haben sie jetzt keinen Whiskey mehr. Oder glauben Sie, da ist noch was übrig geblieben?«
Jack lachte. »In Australien werden die Nachschub finden. Und in Frankreich ... Was trinkt man da? Calvados?«
Roly runzelte die Stirn. Von Calvados hatte er sichtlich noch nie gehört; dann aber lachte er auf. »Wein! Mr. Tim und Miss Lainie trinken französischen Wein. Schickt ihnen Mr. Ruben, also Miss Lainies Vater, der hat ja ein Warenhaus in Queenstown. Aber mir schmeckt das Zeug nicht besonders. Ich ziehe ’nen guten Whiskey vor. Sie nicht, Mr. Jack?«
Jack hatte inzwischen zwei weitere Frühaufsteher erspäht und rekrutierte sie ohne viel Federlesens zum Deck schrubben. Kurz danach erschienen drei weitere, und als der Lieutenant exakt eine Stunde nach Erteilen des Befehls zurückkam, glänzte das Deck tatsächlich. Tropfnass, aber sauber.
»Sehr gut, Private McKenzie!« Der Offizier war zum Glück nicht nachtragend. »Sie können dann frühstücken – mit Ihren Leuten. Die Kombüse ist bemannt.« Letzteres klang regelrecht stolz. Anscheinend hatte der Lieutenant den Koch aus dem Bett werfen müssen, aber das war immerhin gelungen.
Jack nickte, während Roly versuchte, vor dem Offizier zu salutieren. So ganz klappte das noch nicht, aber dem Lieutenant rang es immerhin ein Lächeln ab.
»Die wird schon noch ...«, murmelte er und schlenderte über das nun saubere Deck davon.
Tatsächlich verbesserte sich die Disziplin nach dem ersten wilden Abend auf See – schon deshalb, weil die Alkoholvorräte größtenteils aufgebraucht waren. Allerdings hatten die Soldaten nicht viel zu tun. Die drangvolle Enge machte jeden Drill, den der junge Lieutenant vielleicht im Auge gehabt hatte, unmöglich. Zwar ließ der Offizier in Gruppen an Deck exerzieren, aber sehr erfolgreich war das nicht. Keiner der Männer sah ein, weshalb er im Gleichschritt mit anderen gehen sollte, erst recht nicht hin und her auf dem schwankenden Schiff. Zum Entsetzen des Lieutenants endete der Drill denn meist in Gelächter. Der junge Offizier war sichtlich erleichtert, als die
Great Britain
endlich in den King George Sound einfuhr. Die Küste von Albany, Strände und bewaldetes Land, lagen einladend in der Sonne, beherrscht von der Princess Royal Fortress.
»Die Festung ist voll bemannt!«, erklärte der Lieutenant begeistert. »Und voll bewaffnet. Sie dient dem Schutz der Flotte. Wenn uns hier jemand angreift ...«
»Wer soll uns denn hier angreifen?«, erkundigte sich Greg McNamara, wohlweislich leise. »Als ob in Deutschland einer weiß, wo Albany liegt.«
Jack konnte im Grunde nur zustimmen. Auch er hatte vorher nie von dem kleinen Küstenort in Westaustralien gehört, und die Festung war wohl eher zwecks Disziplinierung der Sträflinge in der Botany Bay gebaut worden als zur Landesverteidigung. Dennoch nahmen die Männer von Albany ihren Job ernst, wie die Neuseeländer beim Landgang feststellen durften. Wer sich der Festung auch nur näherte, wurde angehalten, nach der Losung des Tages befragt und misstrauisch beäugt.
Schon beim Eintreffen der
Great Britain
lag ein Dutzend Schiffe in der Bucht vor Anker, und in den nächsten Tagen kamen weitere dazu. Am Ende formierten sich tatsächlich sechsunddreißig Truppentransporter, flankiert von diversen Schlachtschiffen.
Roly bewunderte die glänzenden Kanonen der
Sydney
und der
Melbourne
, riesige Kriegsschiffe, die den Great Convoy schützen sollten.
»Wenn sich überhaupt einer traut, uns anzugreifen!«, erklärte er begeistert. Wie die meisten anderen Soldaten empfand er unbändigen Stolz auf die gewaltige Flotte, die sich zur Abfahrt in Reihen formierte. Die Spitze bildeten die sechsundzwanzig australischen Schiffe in Dreierreihen; dahinter ordneten sich die zehn Neuseeländer in Zweierreihen ein. Der Anblick der Schiffe, der Flaggen und der vielen tausend Männer in Uniform, die sich zur Abfahrt an Deck versammelten, berührte selbst Jack. Und sogar das Wetter schien zu dieser Demonstration von Kampfkraft und Willen der Aussies und Kiwis beitragen zu wollen. Wie von einem Kriegsmaler inszeniert strahlte die
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