Der Ruf der Kiwis
inzwischen wiedergekommen und stellte den Eimer neben dem Bett ab.
»Dies ist Private Greg McNamara«, stellte er vor. »Und der andere ist Bobby O’Mally. Der ist sonst nicht so schweigsam, Mr. Jack. Hat bloß ein bisschen viel gefeiert. Denk dir, Greg, das ist Jack McKenzie aus den Plains. Der Cousin von Miss Lainie.« Während Roly munter plapperte, suchte er rasch ein Kochgeschirr aus seinen Habseligkeiten, füllte einen Becher für Bobby und hielt ihn dem Jungen an die Lippen. Außerdem befeuchtete er ein Taschentuch und legte es ihm auf die Stirn.
Jack fragte sich, warum der Mann nicht als Sanitäter angeheuert hatte. Rolys Umgang mit seinem angeschlagenen Freund war äußerst professionell, und er zuckte auch mit keiner Wimper, als Bobby sich noch einmal übergab, zum Glück in einen Eimer.
Jack reichte es jetzt allerdings. Sowohl der Geruch nach Erbrochenem als auch die ungetrübte Fröhlichkeit der jungen Männer. Er murmelte etwas von »frische Luft schnappen« und begab sich an Deck, wo immer noch gefeiert wurde. Der junge Lieutenant, der die Truppe befehligte, versuchte vergeblich, die Männer zur Ordnung zu rufen.
Jack begab sich nach achtern und warf einen letzten Blick auf die sich rasch entfernende neuseeländische Küste. »Land der Weißen Wolke« ... Heute lag es nicht im Nebel. Aber die ersten Maori-Kanus hatten sich ohnehin aus einer ganz anderen Richtung genähert. Hawaiki ... Jack versuchte, nicht an Charlotte zu denken, aber wie immer war es vergeblich. Er wusste, dass er irgendwann aufhören musste, sich in jeder Sekunde des Tages mit jedem Schlag seines Herzens nach ihr zu sehnen. Aber bislang sah er keinen Ausweg. Jack fror.
Die erste Nacht an Bord des improvisierten Truppentransporters – gewöhnlich beförderte die
Great Britain
Reisende nach Europa, aber jetzt hatte man auch die Räume der Ersten Klasse zu Einfachstquartieren umgestaltet – empfand Jack als höllisch. Keiner seiner Kajütengenossen war nüchtern, was sich bei einigen darin äußerte, dass sie alle paar Minuten aufstanden und an Deck taumelten, um Wasser abzuschlagen. Andere schliefen tief und fest, schnarchten und schnieften dabei in allen Tonlagen. Jack machte kaum ein Auge zu und floh schon früh am Morgen an Deck, direkt in die Arme des frustrierten Lieutenants.
»Hier sieht’s aus wie im Schweinestall!«, fuhr der Mann ihn an, was Jack nicht direkt leugnen konnte. Das Deck zeugte von den am Vortag gefeierten Abschiedsorgien; es stank nach Urin und Erbrochenem, neben den Lachen diverser Körperflüssigkeiten lagen leere Flaschen und Essensreste. »Rekruten nennt sich das! Ich habe noch nie einen so undisziplinierten Haufen gesehen ...«
Der Mann sprach mit englischem Akzent. Anscheinend hatte man ihn aus dem Mutterland herübergeschickt, um sich der Kiwis als Ausbilder anzunehmen. Jack tat er fast leid. Sicher wusste der Mann, wie man Soldaten drillte, aber er schien direkt aus der Militärakademie zu kommen. Die meisten seiner Untergebenen waren älter und abgebrühter als er.
»Die Jungs sind nicht gerade die Blüte der neuseeländischen Jugend«, meinte Jack mit schiefem Lächeln. »Aber an der Front werden sie sich bewähren. Die sind es gewohnt, sich durchzuschlagen ...«
»So?«, fragte der Offizier mit beißendem Spott. »Schön, dass Sie mich an Ihren umfassenden Erkenntnissen bezüglich Ihrer Landsleute teilhaben lassen. Sie selbst sind natürlich etwas Besseres, Private ...?«
»McKenzie, Sir.« Jack seufzte. Das »Sir« hatte er eben vergessen. Und jetzt würde sich der ganze Ärger des jungen Mannes über ihm entladen. »Und nein, Sir, ich halte mich keineswegs für etwas Besseres.« Jack wollte noch mehr sagen und auf seine Erfahrungen mit abenteuerlustigen jungen Männern verweisen, die sich auf Kiward Station als Viehhüter verdingten. Dann aber biss er sich auf die Lippen. Bloß nicht rechthaberisch klingen!
Trotz des Besänftigungsversuchs baute der Lieutenant sich kriegerisch vor ihm auf.
»Dann beweisen Sie das mal, Private McKenzie. Machen Sie hier klar Schiff! In einer Stunde hat das Deck zu glänzen!«
Während der junge Offizier davonstiefelte, machte Jack sich auf die Suche nach Eimer und Schrubber. Er wehrte sich gegen den aufkeimenden Zorn. Schließlich hatte er eine Beschäftigung gesucht, und Wasser war genug da. Als er gerade den dritten Eimer aus dem Meer schöpfte, gesellte Roly O’Brien sich zu ihm.
»Ich helf Ihnen, Mr. Jack. Kann sowieso nicht schlafen,
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