Der Ruf der Kiwis
hätten niemals als einfacher Soldat gedient.
»Mutter, ich schleife doch Anwyl nicht in den Krieg!«, hatte Jack empört geantwortet. »Tausende von Meilen auf einem Schiff, nur damit er da drüben womöglich erschossen wird?«
»Du meinst, du kannst Anwyl den Krieg nicht zumuten?« Gwyneira war fassungslos. »Du hast Angst um dein Pferd, Jack? Während du selbst ...«
»Mein Pferd ist kein Freiwilliger«, bemerkte Jack. »Es hat nie den Wunsch geäußert, sich der Armee anzuschließen. Insofern erschiene es mir nicht sehr fair, es von seiner Koppel zu reißen und nach Frankreich zu verschiffen. Außerdem sind wir nicht mehr im Mittelalter. Dieser Krieg wird mit Maschinengewehren entschieden, nicht mit Kavallerieangriffen.«
Gwyneira hatte schließlich geschwiegen. Aber jetzt fragte sich Jack, ob sie nicht doch Recht gehabt hatte. Es wäre schön gewesen, den schwarzen Cobwallach bei sich zu haben. Anwyl war von freundlichem, ruhigem Wesen; selbst in den letzten, furchtbaren Wochen hatte er auf Jack tröstend gewirkt. Ebenso wie Nimue – aber die musste nun seiner Mutter Gesellschaft leisten. Und sicher kam Gloria auch bald zurück.
Jack ließ sich auf seine Koje fallen. Er hatte sich eine der unteren Etagen gesichert. Die primitiven Verschläge, in die man je neun Männer pferchte, waren mit rasch zusammengezimmerten Drei-Etagen Betten versehen. Jack erschienen sie wenig vertrauenerweckend. Er hoffte, dass sich kein Schwergewicht über ihm breitmachte.
Aber er fand keine Ruhe. Schon kurz nachdem das Schiff abgelegt hatte und Jack hoffte, das Stampfen der Maschinen und die Wellen würden ihn in den Schlaf wiegen, stolperte etwas oder jemand die Treppen herunter. Zwei junge Burschen, ein blonder, untersetzter Kerl und ein Schlacks mit rotbraunem Wuschelhaar, stützten einen dritten, der nur noch vor sich hin lallte.
»Er kann doch nicht schon seekrank sein, Roly?«, fragte der Blonde. Der Wuschelkopf verdrehte die Augen. »Der ist nur sternhagelvoll. Hilf mir mal, ihn in die zweite Etage zu hieven. Hoffentlich kotzt er nicht ...«
Das hoffte Jack allerdings auch. Die Männer brachten ihren Freund zwar nicht direkt über ihm unter, aber gleich neben ihm.
»Hat er doch schon. Er sieht ganz schön daneben aus ...« Der Blonde wirkte nervös.
Wuschelkopf tastete fachmännisch nach dem Puls seines Freundes. »Ach, dem fehlt nichts, der muss nur ausschlafen«, meinte er gelassen. »Haben wir Wasser hier? Er wird einen Höllendurst haben, wenn er aufwacht.«
»Wasserfässer sind im Gang«, bemerkte Jack.
Der Blonde griff nach einem Eimer und taumelte hinaus.
Wuschelkopf bedankte sich höflich und warf Jack einen Blick zu.
»Kennen wir uns?«, fragte er dann.
Jack musterte ihn genauer und erinnerte sich dunkel an die jungenhaften Züge und die immer etwas treuherzig wirkenden graublauen Augen. Irgendwo hatte er den jungen Mann schon mal gesehen, aber nicht auf einer Farm. Er ...
»Du bist aus Greymouth, stimmt’s?«, fragte er.
Roly O’Brien nickte und kramte seinerseits in seinen Erinnerungen. »Sie sind Mr. Jack! Der Cousin von Miss Lainie. Sie waren vor ein paar Jahren zu Besuch bei uns. Mit Ihrer Frau!« Roly strahlte. Jack dagegen versetzte die Erinnerung nur wieder einen Stich. Die Hochzeitsreise mit Charlotte nach Greymouth, ihr Aufenthalt bei den Lamberts ...
Der Junge war dort Hausdiener gewesen, jetzt fiel es ihm wieder ein. Und er hatte sich vor allem um Tim Lambert gekümmert.
»Konntest du deinen Herrn denn so einfach allein lassen?«, fragte er, schon um von Charlotte abzulenken.
Roly nickte. »Ein paar Wochen kommt der ohne mich aus!«, meinte er unbekümmert. »Wahrscheinlich besser als Ihre Frau ohne Sie!« Er grinste. Sonderlich respektvoll war er schon damals nicht gewesen. Aber auch nicht gefühllos. Sein Lächeln verschwand sofort, als er Jacks gequältes Gesicht sah.
»Hab ich ... hab ich was Falsches gesagt, Sir?«
Jack schluckte und schüttelte den Kopf. »Meine Frau ist vor kurzem gestorben«, sagte er leise. »Aber das konntest du nicht wissen ... wie war gleich dein Name?«
»Roly, Mr. Jack, Sir. Roland O’Brien, aber alle nennen mich Roly. Und es tut mir sehr leid, Mr. Jack ... wirklich. Verzeihen Sie ...«
Jack winkte ab. »Nur Jack, bitte. Vergiss den Mister und erst recht den Sir. Ich bin Private Jack McKenzie ...«
»Und ich Private O’Brien. Aufregend, nicht, Sir? Private O’Brien! Das ist hier überhaupt alles aufregend.« Roly strahlte. Sein blonder Freund war
Weitere Kostenlose Bücher