Der Ruf der Kiwis
Krieg offensichtlich florierenden Hafenstadt. Viele Rekruten murrten. Man langweilte sich nach wie vor; es gab praktisch nichts zu tun, als sich an Deck zu sonnen. Das Wetter war immer noch trocken und heiß – verblüffend besonders für die Leute von der Südinsel Neuseelands, auf der selten mehrere Tage ohne Regen ins Land gingen.
Noch einmal verbrachten die Männer fünfzehn Tage auf See, bevor die Flotte Suez erreichte. Zum ersten Mal hörten die Rekruten hier von Kampfhandlungen an Land, in die auch Australier verwickelt sein sollten. Angeblich hatte es Angriffe der Türken auf den Suezkanal gegeben. Lieutenant Keeler befahl seinen Männern erhöhte Wachsamkeit bei der Durchfahrt und stellte Wachen auf. Roly verbrachte eine angestrengte Nacht damit, ins Dunkel am Rand des Kanals zu starren und jedes Lagerfeuer oder jede Ansiedlung, von der Licht zu den Schiffen drang, nervös zu beäugen. Tatsächlich kam es jedoch zu keinen besonderen Vorkommnissen. Die Flotte durchquerte unbehelligt den Suezkanal und erreichte schließlich Alexandria.
»Die Aboukir-Bay!«, bemerkte Jack fast ehrfürchtig zu ihrem Ankerplatz. »Hier hat Nelson vor ziemlich genau hundert Jahren die Schlacht am Nil geschlagen!«
Roly, Greg und Bobby starrten so fasziniert in das ruhige blaue Wasser, als würde sich der Sieg des Admirals noch darin spiegeln.
»Nelson war ... Engländer?«, fragte Bobby vorsichtshalber.
Jack lachte.
In Alexandria wurden die Schiffe dann endlich entladen, aber viel sahen die ANZACs nicht von der berühmten Handelsstadt mit der glorreichen Vergangenheit. Die britischen Offiziere lotsten die aufgeregten Truppen in halbwegs disziplinierter Marschordnung zu einer Verladestation der Bahn.
»Nach Kairo!«, sagte Greg beinahe ungläubig. All die fremden Städtenamen, die engen, sonnenheißen Straßen, die kleinen Menschen in ihren arabischen Kaftanen, der Lärm fremder Sprachen und die ungewöhnlichen Gerüche und Geräusche der Stadt faszinierten die Jungs, verwirrten sie aber auch. Roly fühlte sich trotz der Nähe seiner Freunde verloren in einer fremden Welt; er hatte fast ein bisschen Heimweh.
Jack sog die Fremdheit in sich auf, rettete sich in die neuen Eindrücke und schaffte es bisweilen, nicht mehr zu grübeln und an Charlotte zu denken – wenn er nicht in Gedanken Briefe an sie formulierte. Auch das musste aufhören!
Jack überlegte, wem er stattdessen schreiben könnte, und entschied sich letztendlich für Gloria. Gut, von ihr hatte er in den letzten Jahren kaum etwas gehört, aber Jack fühlte sich dem Mädchen immer noch verbunden. Vielleicht würde sie ja auftauen und ein bisschen lebendiger von ihrem Leben in Amerika erzählen, wenn sie erfuhr, dass sie nicht als Einzige aus Kiward Station weit gereist war.
Also schilderte er Gloria die Schiffsreise mit der stolzen Flotte und später auch die Fahrt nach Kairo in einem vollgestopften Zug. Von der Landschaft war nicht viel zu sehen; die Truppe wurde nachts transportiert und erreichte die Stadt in den ersten Morgenstunden. Es war nach wie vor stockdunkel und zur Überraschung der Männer auch empfindlich kalt, als die Truppen sich zum Marsch in die Ausbildungslager formierten. Die meisten Australier würden ein Lager im Süden Kairos beziehen, die Neuseeländer erwartete ein Camp im Norden. Aber zunächst lag ein Nachtmarsch von mehreren Meilen vor ihnen – unerwartet anstrengend nach der erzwungenen, wochenlangen Untätigkeit an Bord der Schiffe.
Jack war durchgefroren und müde, als sie die Zeltstadt »Zeitoun« erreichten. Jeweils sechzehn Mann teilten sich eine Unterkunft; Roly und seine Freunde blieben bei Jack. Aufatmend belegten sie ein Dreieretagenbett.
»Puh, bin ich kaputt!«, stöhnte Greg.
Ein paar andere Männer, anscheinend Städter, schienen jedoch noch schlechter dran zu sein als die Jungs aus Greymouth. Ihre neuen Uniformstiefel drückten, besonders zwei Zeltkameraden schienen kaum fähig, noch einen Schritt zu gehen. Sie stöhnten, als sie die Stiefel von den Füßen zogen.
Jack nahm sich zusammen. Jemand musste für Ordnung sorgen. Als Erstes scheuchte er Bobby wieder hoch, der sich erschöpft auf eine der Pritschen geworfen hatte und nicht willens schien, noch einmal aufzustehen. »Keine Müdigkeit vorschützen, Private O’Mally!«, pfiff er den jungen Mann an. »Irgendjemand sagte vorhin was von Essensausgabe. In der Richtung machst du dich jetzt mal kundig. Zumindest heißen Tee kannst du besorgen, damit die Jungs da
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